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Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)

Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)

Titel: Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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krallten sich in ihre Hand. Sie waren feucht. Deutlich spürte sie seine Angst.
    Die Splitter einzeln zu entfernen, die den Unsterblichen verletzt hatten, hätte eine Stunde oder länger gedauert. Es waren zu viele! Diese Zeit hatte sie nicht! Fieberhaft dachte sie an andere Möglichkeiten und visualisierte in Gedanken ein Bild, in dem sie eine Kraft war, die all die Splitter anzog, so wie ein Magnetstein Eisenspäne an sich zog. Leise sprach sie ein Wort der Macht, um das Netz der Kraftlinien zu verändern. Hier auf Nangog war es anders gewoben. Zu zaubern fiel ihr schwerer als in Albenmark. Sie nahm von der Kraft Ashots. Sollte er verblühen, um Aaron Leben zu schenken.
    Lyvianne hatte die Augen geschlossen, um sich ganz in ihre Kunst zu versenken. Sie spürte, wie sich die feinen Splitter in Aarons Fleisch bewegten. Sie war nun eins mit ihm. Spürte den Schmerz, den er fühlte, kannte seine Ängste und … Da war noch jemand! Ein anderer Geist lebte im Körper des Herrschers. Und noch einer … Immer mehr! Sie umlagerten den Aaron, der ein mal ein Bauer gewesen war, spotteten über dessen Dummheit, sich mit der Priesterschaft der Zapote anzulegen, rieten ihm, sich nicht einer Unbekannten anzuvertrauen und eröffneten ihm schreckliche Visionen von dem, was der Löwenhäuptige mit einem blinden Herrscher tun würde.
    Lyvianne zog sich erschrocken vor diesem Mysterium zurück, versuchte sich zunächst auf das Einfache zu konzentrieren. Sie war im Blut des Unsterblichen, in seinen Wunden, langsam zunächst und dann immer schneller werdend verwob sie diese Wunden. Ließ zusammenwachsen, was die Osidiansplitter durchtrennt hatten.
    Sie sah durch seine Augen. Sah, wie die Kirschbaumkrone über ihnen, ein verschwommenes Bild aus Weiß und Grün, langsam wieder an Form gewann, bis sie zuletzt jedes Blatt und jede Blüte deutlich vor sich sah.
    Ein Sturm von Stimmen brandete in Aarons Verstand auf. Gellend warnten sie ihn vor der Hexe, die nach ihrer aller Seele griff. Ihre Gedanken waren Gift und Dunkelheit. Doch dann erklang mitten unter ihnen eine Stimme, die alle anderen beherrschte. Der, den sie abfällig den Bauern nannten, der Mann, der einmal Artax geheißen hatte, war von einer Macht, die all die anderen verstummen ließ. Lyvianne betrachtete die Erinnerungen an sein Leben. Es war reich an Freud und Leid. Die anderen Geister in ihm berührte sie nur flüchtig. Sie waren klein, gefangen in einer Selbstgefälligkeit, die ihrem Dasein jeden Glanz genommen hatte. Der Mann, der einmal Artax gewesen war, war anders. In ihm brannte ein Feuer. Er wollte die Welt der Menschenkinder verändern, sie zu einem gerechten Ort machen, wo niemand mehr Hunger leiden oder die Willkür der Herrschenden fürchten musste. Sie sah all die Kämpfe, die Artax ausgefochten hatte, seine verzweifelte Liebe zu einer Barbarenprinzessin und seinen Abstieg in jenes düstere Tal, wo er dem eberköpfigen Devanthar begegnet war. Dort war sein Schwert zum Geisterschwert geworden, und er war einem Geheimnis nahe gekommen, das die Devanthar eifersüchtig hüteten.
    Lyvianne zog sich aus den Gedanken des Unsterblichen zurück und öffnete ihre Augen. Einen Moment starrte sie ihn desorientiert an. Zu deutlich waren noch die Bilder seiner Erinnerungen, sie überlagerten sich mit dem, was ihre Augen ihr zeigten.
    Der Herrscher lächelte sie an. »Danke«, sagte er mit warmer Stimme.
    Lyvianne nahm ihre Hand von seiner Stirn. Flüchtig sah sie zu Ashot. Der Krieger wirkte erschöpft. Seine Schläfen waren ergraut, aber er hatte nicht zu viel von seinen Jahren verloren. Seine Veränderung mochte für andere von den Schrecken dieses Tags herrühren. Sie hatte keine allzu deutliche Spur hinterlassen.
    Aaron ergriff ihre Hand. »Du musst mit mir kommen. Du könntest viel Leid von den Menschen nehmen, schöne Fremde.«
    Lyvianne sah ihm tief in die Augen. Einsamkeit hatte sich dort eingenistet, hinter dem Strahlen, das jene blendete, die nur den Unsterblichen sehen wollten. »Ich kann nicht. Mein Schicksal ist ein anderes. Ich bin wie der Wind, du kannst mich nicht halten. Es ist mir bestimmt weiterzuziehen.«
    Er ließ sie los. In seinen Augen spiegelte sich nun Bedauern. Er würde niemals versuchen, sie mit Gewalt aufzuhalten, das wusste sie. Dieser Mensch war tatsächlich ganz anders als die wenigen anderen Menschenkinder, die sie bis zum Grund ihrer Seele kennengelernt hatte.
    Lyvianne setzte wieder ihren Helm auf und zog sich zu ihren Gefährten zurück.

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