Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
Sie ignorierte die schneidende Bemerkung Nandalees, dass bald die halbe Stadt einstürzen könnte und keine Zeit für irgendwelche Spielchen blieb. Lyvianne sah das anders. Sie war hier noch nicht fertig. Sie hielt sich dicht an Bidayns Seite, als sie die Tempelgärten verließen, den weiten Platz vor dem Weißen Tor querten und sich in den engen Gassen drängten, flankiert von einfachen Häusern, deren Flachdächer nun dicht gedrängt voller Gaffer standen, die sehen wollten, was in der Tempelstadt der Zapote vor sich ging.
Bald hatten sie eine der endlosen Treppen erreicht, die die Terrassen der Stadtviertel miteinander verbanden. Nandalee hatte einen Weg abseits der Hauptstraßen gewählt. Sie zog es vor, im Halbdunkel enger Stiegen zu bleiben. Sie erklommen ausgetretene Stufen, glitschig vom Unrat, der achtlos aus Fenstern geschüttet wurde, und von dem Wasser, das von der Wäsche tropfte, die an einem dichten Spinnennetz von Leinen hing und den Blick auf den Himmel zu einem Mosaikbild werden ließ. Lyvianne bemerkte, wie angespannt Nandalee immer noch war, als fürchte sie, ihre Mission könne noch im letzten Augenblick eine tragische Wendung nehmen. Wussten die Devanthar vielleicht schon, was geschehen war, und würden sie angreifen?
Lyvianne würde sich nicht von den Ängsten der jungen Elfe anstecken lassen. Sie zog Bidayn dicht an sich heran. »Ich habe dir ein Versprechen gegeben. Ich werde es einlösen. Lass uns im Gedränge auf dem Platz vor der Goldenen Pforte verschwinden.«
Bidayn wirkte ängstlich. »Wir können doch nicht …«
»Willst du eine neue Haut haben, glatt wie Seide? Dann folge mir!«
N eue Wege
Auf dem Platz vor der Goldenen Pforte drängten sich Menschen, Maultiere, Sänften und Kamele. Die Luft schwirrte von Flüchen in allen Zungen der Menschenwelt, von Gebeten der Ängstlichen und den lautstarken Prahlereien jener, die ihre Angst hinter großen Worten versteckten. Auch alle Düfte Nangogs hatten sich hier versammelt. Der Geruch von Safran, Pfeffer und Koriander mischte sich mit dem Duft gegrillten Fleisches, der von den zahllosen kleinen Bratstuben, die den weiten Platz säumten, aufstieg und sich wie eine Glocke über den Platz legte. Wasserverkäufer mit großen Amphoren auf den Rücken geschnallt und Bäckerburschen mit Stangen voller Sesamkringel zogen durch die Menge. Gaukler und Musiker spielten für die Wartenden, die mit Karawanen durch das magische Tor, das die Welten miteinander verband, in ihre ferne Heimat ziehen wollten. Nur nachts kehrte hier für wenige Stunden Ruhe ein. Die Waren einer ganzen Welt mussten durch dieses Nadelöhr.
Nandalee wusste, dass ihnen nicht mehr die Zeit blieb, sich unter den Wartenden einzureihen. Sie vertraute Nangog nicht. Hatte die Göttin ihren Plan, die Goldene Stadt einfach von den Hängen des Weltenmunds zu wischen, wirklich aufgegeben? Nangog hatte sie geringer als ein Staubkorn auf ihrem Auge genannt. Warum sollte sie sich an das Versprechen ihr gegenüber halten?
Und selbst wenn sie es tat, was war für sie ein kleines Beben? Nandalee wusste nur eines, wenn es so weit war, wollte sie nicht in der Goldenen Stadt sein, um die Rache der Riesin zu erleben. Es würde Tausende Tote geben, dachte sie niedergeschlagen. Obwohl sie alles getan hatte, um dies zu verhindern. Wieder war sie gescheitert.
»Wo ist Lyvianne?«, fragte Gonvalon plötzlich.
Nandalee fuhr herum. Lyvianne und Bidayn waren im Gewühl der Menge verschwunden. »Diesmal warten wir nicht!«, entschied sie. Ihnen lief die Zeit davon. Nandalee hatte schon nicht begreifen können, was Lyvianne mit dem Unsterblichen getan hatte. Sie alle in Gefahr zu bringen, um dessen Wunden zu heilen, passte im Grunde gar nicht zu der Zauberweberin. Wahrscheinlich hatte sie in den Erinnerungen des Herrschers gelesen – doch das zu tun war nicht ihre Aufgabe. Sie hatten ihre Mission erfüllt und das Letzte, was Nandalee nun noch zu tun blieb, war, all ihre Gefährten lebend zurück nach Albenmark zu bringen.
»Wir können sie doch nicht einfach zurücklassen«, sagte Gonvalon schockiert. »Wir gehören zusammen. Wir stehen füreinander ein. Selbst für die Toten und erst recht für die Lebenden.«
Nandalee war verletzt. Ihr war nicht entgangen, wie sehr ihn ihre Entscheidung, Manawyns Leiche zurückzulassen, verstört hatte. Aber es ging hier um die Lebenden. »Es ist Lyvianne, die uns im Stich lässt, und ich bedauere, dass sie Bidayn verführen konnte, mit ihr zu gehen. Für uns
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