Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
Das Schiff scherte nach Steuerbord aus, und mit scharfem Knall brach die Spitze des Steuerbordhauptmastes. Lauter und verzweifelter ertönten die Gebete seiner Gefolgsleute. Tentakel schnellten nach vorn und zerrten sie dem Wasserfall entgegen. Das Prasseln des Wassers war ohrenbetäubend. Der Leib des Wolkensammlers hing wie ein großer Schirm über dem Schiff. Obwohl sich um sie herum ein Getöse erhob, als wolle die Welt zerbrechen, spritzte nur Sprühwasser über das Deck, als sie ganz und gar vom Silberschleier des Wasserfalls eingehüllt wurden.
Plötzlich war das Vogelweib wieder da. Nass und mit zerzaustem Gefieder landete es neben Barnaba auf dem Deck. Er strich ihr über das lange, schwarze Haar. Sie gab wimmernde Laute von sich, drückte aber den Kopf fest gegen seine Hand, als habe sie lange nicht mehr die Berührung einer barmherzigen Hand gespürt. Wer sie in ihrem früheren Leben wohl gewesen war? Noch während er dies dachte, schob sich der Leib des Wolkensammlers vollends durch den Wasserfall, und sie tauchten in eine breite Bahn aus goldenem Licht ein.
Barnaba hielt den Atem an … sie flogen in eine Höhle hinein, die fünf oder sechs Meilen weit sein musste! Es schien, als sei der ganze Tafelberg, dem sie entgegengeflogen waren, von innen ausgehöhlt. Speere aus Licht durchbrachen die Finsternis. Er eilte zur Reling und lehnte sich weit nach vorn, um am Leib von Wind vor regenschwerem Horizont vorbei zur Decke der Höhle blicken zu können. Sie war von Öffnungen, groß wie Stadttore, durchbrochen. Wurzelwerk und dunkelgrüne Ranken wucherten dort. Vor dem Himmel zeichnete sich das Blätterwerk von Bäumen ab. Wahrscheinlich waren die Lichtschächte von oben, wenn jemand den Tafelberg überflog, trotz ihrer Größe kaum auszumachen. Tarkon hatte das vollkommene Versteck gefunden! Nun wunderte es Barnaba nicht mehr, dass der Himmelspirat von den Unsterblichen so lange vergeblich gejagt worden war. Diesen Ort konnte man nur mit Hilfe eines Verräters aufspüren.
Der Priester ahnte, was nun kommen würde. Auf einem breiten Felsvorsprung am gegenüberliegenden Ende der Höhle war eine Siedlung errichtet worden. Holzbaracken und Zelte umringten ein halbes Dutzend steinerner Bauten. Das Einzige, was dort wirklich solide aussah, waren die drei Ankertürme, an denen zwei kleinere Wolkensammler vertäut waren. Schon aus der Ferne konnte Barnaba sehen, dass in der Siedlung helle Aufregung herrschte. Auf den Flachdächern der Steinbauten sammelten sich Bogenschützen, während andere Männer eilends an Bord der Wolkenschiffe gingen. Er hörte, wie sich das Rauschen des Wasserfalls veränderte. Ihr zweites Schiff hatte seinen Weg in die Höhle gefunden. Jetzt erst bemerkte er, dass der Grund der Höhle ganz von einem See eingenommen wurde. Unterhalb der Siedlung gab es Stege, und einige kleine Boote waren auf das Ufer hinaufgezogen worden.
Auf kleinen Terrassen entlang der Höhlenwände wuchsen Bäume, und an einer Stelle waren sogar Reisfelder angelegt worden. Wahrscheinlich ernährte all das nicht einmal Tarkons Männer. Der Piratenfürst würde nicht begeistert sein, wenn Hunderte Gläubige der Großen Göttin in der legendären Wolkenstadt Zuflucht suchten.
Kolja kam aus der Luke in der Mitte des Decks gestiegen. Der Söldner sah sich staunend um, dann eilte er an Barnabas Seite. »Soll ich das Schiff gefechtsbereit machen lassen?«
Der Priester schüttelte den Kopf. »Wir kommen in friedlicher Absicht.«
»Dann hoffe ich mal, dass die Bogenschützen dort hinten das auch wissen.«
»Die Große Göttin beschützt uns. Hab keine Sorge, mein Freund.«
»Ein ordentlicher Schild wäre mir lieber«, murmelte Kolja leise.
»Komm mit mir zum Bug, wir werden den Piratenfürsten empfangen.«
»Das halte ich für keine gute Idee, Priester. Ich war bei der Flotte, die unter der Führung des Unsterblichen Aaron und der Ischkuzaia-Prinzessin Shaya den Piratenfürsten in eine Falle lockte. Ich schätze, dass Tarkon sich noch an mich erinnert. Mein Gesicht vergisst man leider nicht so schnell. Vor allem, wenn man von mir ein Schwert in den Bauch gerammt bekommen und das wie durch ein Wunder überlebt hat.«
Barnaba traute seinen Ohren nicht. »Du hast was?«
»Den Kerl abgestochen«, sagte Kolja ohne das geringste Anzeichen von Reue. »Er hatte versucht, den Unsterblichen Aaron umzubringen, und ich gehörte zur Leibwache Aarons.« Der Hüne zuckte mit den Schultern. »Hab nur meine Pflicht getan.«
Barnaba
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