Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
Barnaba musste nur über eine der Wurzeln streichen, um mit ihm verbunden zu sein.
»Soll ich Veccio auch das mit dem letzten Flugmanöver ausrichten?«
»Hast du Sorgen, dass er vor Angst in seine Glaskanzel pisst?«
Kolja schüttelte seinen entstellten Kopf. »Das hat er schon.«
»Es liegt bei dir, wie viel du ihm verrätst.«
Der Hüne grunzte und kehrte zurück zu dem Luk, durch das er gekommen war. Er würde durch zehn Decks hinabsteigen, bis zu der gläsernen Lotsenkanzel, die unter dem Rumpf des Schiffes hing. Nur von dort gab es freie Sicht in jede Richtung, außer nach oben.
Es missfiel Kolja sichtlich, den Laufburschen zu spielen. Bluthand war ein passender Name für ihn. In der Wolkenstadt, unter den Himmelspiraten von Tarkon Eisenzunge, würde er sich gewiss wohler fühlen als hier bei ihnen.
Wind vor regenschwerem Horizont verlor ein wenig an Höhe, und das Schiff tauchte in die Wolkenbank. Barnaba war enttäuscht gewesen, als er zum ersten Mal durch Wolken geflogen war. Im Sonnenlicht sahen sie wunderschön aus, als seien sie aus Ziegenkäse geschnitten. Doch durchquerte man sie, verflog aller Zauber, und es blieb nur besonders dichter, kühler Nebel.
Das Vogelweib stieß einen krächzenden Laut aus und trat nervös von einem Bein auf das andere. Spürte sie, wohin die Reise ging? Gab es noch Verstand in diesem Kopf? Barnaba dachte an die Zeit, die er im Leib des Wolkensammlers verbracht hatte. Den langen Traum von dieser neuen Welt, der ihm Antwort auf seinen brennenden Schmerz gegeben hatte. Hier auf Nangog könnte sein Feldzug der Rache, nach dem er sich so sehnte, die Fackel der Freiheit entzünden. Seine Rache bekäme einen übergeordneten Sinn. Sich dafür zu opfern, wäre nicht mehr nur selbstsüchtig, er opferte sich zugleich auch für die Freiheit dieser Welt, die so anders als seine ferne Heimat sein könnte. Barnaba tastete nach dem Dolch an seinem Gürtel. Die Waffe, die er vor der Vernichtung bewahrt hatte und die das Blut des Unsterblichen Aaron vergießen würde.
Voller Zuversicht blickte er in den Nebel. Seine Zukunft lag klar vor ihm. Er würde diese Welt verändern. Es hatte bereits begonnen, doch was bisher geschehen war, war nichts im Vergleich zu dem, was er entfesseln würde, wenn er erst das Traumeis gewann. Nangog war ihm in seinem Traum im Leib des Wolkensammlers erschienen, und sie hatte ihm verheißen, was durch das Traumeis bewegt werden konnte.
Der Nebel lichtete sich. Sie hatten die Wolkendecke durchstoßen und flogen auf eine Felswand zu, in der sich eine gewaltige Öffnung befand, so, als sei sie vom Hammer eines zornigen Gottes getroffen worden. Sie erinnerte Barnaba an ein Tor, groß genug, dass selbst die gewaltigsten der Wolkensammler hindurchfliegen konnten. Doch vielleicht hundert Schritt im Inneren des Tors wogte ein silberner Schleier, der die Sicht tiefer in den Berg hinein versperrte. Bäume und mannshohe Farne wucherten in dieser Öffnung. Ein Schwarm großer, roter Vögel kam ihnen entgegengeflogen, als sie sich dem Loch im Fels näherten.
Das Vogelweib schwang sich in die Luft auf und segelte auf weit ausgebreiteten Schwingen neben dem Wolkensammler. Plötzlich überkamen Barnaba Zweifel. Hatte er sich verschätzt? War der Durchlass wirklich groß genug? Seine Gefolgsleute blickten auf dem Deck kniend zu ihm auf. Der Priester breitete die Arme aus. »Alles wird gut!«, sagte er mit Donnerstimme, sich wohl bewusst, dass er nun auch gegen seine eigene Angst anpredigte. »Wir sind in der Hand Nangogs. Sie führt und schützt uns.«
Das Wolkenschiff war keine hundert Schritt mehr von der Öffnung entfernt. Der aufgedunsene Leib von Wind vor regenschwerem Horizont gab zischende und glucksende Laute von sich. Die Tentakel peitschten nervös in die Luft. Die stärksten der Fangarme tasteten nach der roten Felswand, einige fanden Halt. Sie zerrten das Schiff tiefer in die Höhle hinein, es wurde dunkler, und eine kühle Brise, die feine Wassertröpfchen mit sich trug, schlug ihnen entgegen.
Die Vögel, die im Schiffsbaum lebten, zwitscherten nervös. Nun begann auch Barnaba zu beten. Stumm flehte er die Große Göttin an, sie alle zu schützen. Vom Silberschleier drang nun ein lautes Rauschen zu ihnen. Ein Wasserfall lag hinter dem weiten Loch in der Felswand, und Wind vor regenschwerem Horizont flog geradewegs auf die tosende Gischt zu!
Ein Ruck lief durch das Schiff, als der Leib des Wolkensammlers gegen die gewölbte Decke aus rotem Gestein stieß.
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