Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
seinen Augen las sie, wie maßlos stolz er auf sie war. Er würde ihr den Rücken freihalten, ganz gleich, was kommen mochte.
Nun geht und wisset, eines Tages wird ganz Albenmark voller Stolz auf jeden von Euch blicken, denn Ihr alle werdet Helden sein, wie jedes Zeitalter sie nur einmal sieht. Es war wieder der Goldene, der sprach, und seine Worte hatten eine solche Kraft und Würde, dass Nandalees Sorgen schwanden, und sie tatsächlich voller Stolz und Hoffnung war. In wenigen Stunden schon werdet Ihr aufbrechen. Bereitet Euch vor!
Berauscht von dem Gefühl, für Großes auserwählt zu sein, wandte sich Nandalee gemeinsam mit den anderen Elfen dem Tor zu, das sich auf geheimnisvolle Weise an einer Wand der weiten Versammlungshalle aufgetan hatte, als die Stimme Nachtatems sie innehalten ließ.
Ihr verweilt noch ein wenig bei uns, Dame Nandalee!
Sie sah den anderen nach. Keiner von ihnen blickte zu ihr zurück. Selbst Gonvalon nicht.
Dies ist die Einsamkeit der Anführer, meine Dame. Nandalee spürte die Melancholie Nachtatems, und sie konnte nur ahnen, wie viel Ungesagtes hinter diesen Worten lag.
Es gibt noch einen zweiten Grund, warum wir Euch erwählten, Dame Nandalee. Nun war es wieder der Goldene, der zu ihr sprach. Wir haben Eurer aller Zukünfte ergründet. Sie sind mannigfaltig. Voller Ruhm und bei manchen auch voller Abgründe. Für jeden von Euch haben wir an dem Ort, an den wir Euch schicken werden, mindestens eine Möglichkeit zu sterben gesehen. Für jeden … außer für Euch. Vielleicht haben wir die möglichen Zukünfte nicht tief genug ergründet, doch kamen wir überein, dass nur Ihr jenes Kleinod tragen sollt, um das sich alles drehen wird. Tretet erneut in die Mitte der Höhle, verehrte Dame!
Nachtatem sprach ein Wort der Macht, wie nur eine Drachenzunge es zu formen vermag, und als Nandalee vorwärtsging, spürte sie den Boden unter ihren Füßen vibrieren. Das Geräusch von Stein, der über Stein schleift, füllte die weite Höhle, doch war nichts zu sehen, was diesen Lärm hervorrufen mochte.
Die Elfe ahnte, dass sie auf die Probe gestellt wurde, doch wusste sie nicht, auf welche Weise. Die Blicke der Himmelsschlangen lasteten auf ihr. Kurz vor dem Mittelpunkt der Halle blieb sie unvermittelt stehen. Dieses Spiel würde sie nicht mitmachen!
Augenblicklich trat eine absolute Stille ein.
Sie ahnte, dass die Drachen ihre Gedanken tauschten. Es lag eine Spannung in der Luft wie an einem heißen Spätsommernachmittag, kurz bevor ein Gewitter losbrach.
Bravo, Dame Nandalee. Eure Intuition wird nur noch von Eurem Hang zur Rebellion übertroffen. Streckt einmal vorsichtig Euren Fuß vor! Die Stimme des Goldenen traf sie wie ein Peitschenhieb. Mochten seine Worte formal auch freundlich sein, die Gefühle, die sie begleiteten, waren es nicht.
Sie sah zu Nachtatem und glaubte, Zustimmung in seinen Augen zu lesen. Ganz behutsam tastete sie sich mit dem linken Fuß vor und fuhr augenblicklich erschrocken zurück. Dort, wo ihre Augen ihr festen Boden vorgaukelten, war ein Abgrund.
Ganz recht, Dame Nandalee, dort klafft ein fast bodenloser Spalt, aus dem sich eine Säule erhebt, die ein kostbares Kleinod trägt. Und dieses Kleinod sollt Ihr für uns verwahren. Ihr müsst nur den Arm ausstrecken und es an Euch nehmen.
Sie vertraute dem Goldenen nicht. Nandalee ließ den Bogen von ihrer Schulter gleiten und schwang ihn vor sich über den unsichtbaren Abgrund. Erst ein ganzes Stück links von ihr schlug das Eibenholz auf Stein. Hätte sie sich einfach vorgebeugt, sie hätte das Gleichgewicht verloren und wäre in den Abgrund gestürzt.
Das genügt, Brüder! Sie mag jung sein und unerfahren, doch ist sie nicht naiv! Sie wird die anderen führen können und ihre Zweifel und ihren Widerstand überwinden. Ich vertraue ihr.
Enttäuscht nahm Nandalee zur Kenntnis, dass es nicht Nachtatem war, der gesprochen hatte. Der Redner unter den Drachen gab sich ihr nicht zu erkennen, obwohl die Elfe sich sicher war, dass seine Brüder ganz genau wussten, wer gesprochen hatte.
Der Blendzauber verflog von einem Augenblick zum anderen. Deutlich sah sie nun den Abgrund und die daraus aufragende Säule. Ohne abzuwarten, ob sie noch ein weiteres Mal aufgefordert wurde, trat sie ein wenig zur Seite und griff nach dem Amulett, das auf dem marmornen Kapitell lag. Es war aus grau-schwarzem Metall und hing von einem schlichten, dunklen Lederriemen, der abgewetzt und lange getragen aussah. »Blei«, sagte sie halblaut.
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