Drachenelfen - Die gefesselte Göttin (German Edition)
Lagerhäuser einfach in die Tiefe. Ihren alten Versammlungsort hatten Merob und ihre Anhänger schon aufgeben müssen, weil einer der verborgenen Zugangstunnel bei der Erweiterung eines Lagerhauses entdeckt worden war. Sie mussten ständig auf der Hut sein. Die Alte machte sich keine Illusionen darüber, was mit ihr geschehen würde, wenn sie den Schergen der Statthalter in die Hände fiel. Sie würden den Kult um die Grünen Geister am liebsten auslöschen. Wie so viele Mächtige waren sie blind für die Zukunft und dafür, was gut für das Volk war, das sie regierten.
Merob sehnte den Tag herbei, an dem Nangog sich erhob. Den Tag, an dem sie endlich die Tunnel verlassen könnte, um noch einmal die Sonne zu sehen. Es musste bald geschehen! Sie wusste nur zu gut, wie krank sie war. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Und sie hatte immer noch nicht entschieden, wer ihre Nach folgerin sein würde. Das war eitel und dumm. Und doch brachte sie es nicht über sich – hatte sie doch das Gefühl, dass auf einer ihrer Versammlungen ihre Nachfolgerin zu benennen gleich bedeutend damit war, einen großen Schritt in Richtung Grab zu tun.
Eigentlich sollte ihre Wahl auf Zarah fallen. Sie war beliebt in der Gemeinde, sie hatte Einfluss und bereits unzählige Male ihren Mut bewiesen, wenn sie nachts mit grüner Kreide ihr Zeichen auf die Sockel von Statuen, die Ziegelsteinwände der Lagerhäuser und manchmal gar auf die Türen von Palästen malte. Der formlose grüne Fleck, das Zeichen für die Geister Nangogs. Aber Merob gefiel Zarahs Lebenswandel nicht, so klug und mutig sie auch sein musste. Ein solches Weib sollte keine Priesterin der Großen Göttin sein!
»Was soll ich mit dem Spitzel machen?«, unterbrach Artiknos ihre Gedanken.
»Setz ihn vor dem Haus der barmherzigen Brüder ab. Vielleicht nehmen sie ihn auf. Und wenn nicht, ist es nicht unsere Sache. Er hat seine Seele an die Herrschenden verkauft und wusste, dass er sich in Gefahr begibt, wenn er uns nachschnüffelt. Ganz sicher hätte er keine Gewissensbisse gehabt, uns alle an die Henker der Statthalter auszuliefern. Wir aber sind gnädig. Wir lassen ihm sein Leben. Und wenn die dort oben«, sie blickte zu der rußgeschwärzten Decke des Tunnels über ihr, »weniger gnädig sind und einem Verrückten kein Gnadenbrot schenken, dann soll dies nicht unsere Sorge sein.«
Artiknos widersprach nicht. Er hatte schon für sie getötet, aber Merob wusste, dass er es, wie alle Jünger der Großen Göttin, hasste, Blut zu vergießen. Sie stiegen tiefer und tiefer in den Fels hinab, durchquerten ein Stück eines bestialisch stinkenden Abwasserkanals und erreichten endlich den kurzen Tunnel, der zur Kristallhöhle führte. Hier hieß Merob den Flötenspieler, sie abzusetzen. Die letzten Schritte wollte sie aus eigener Kraft tun.
Mit wackligen Knien ging sie der Höhle entgegen, nur um im Eingang wie versteinert stehen zu bleiben. Dutzende Grüne Geister glitten durch die Höhle. Sie tanzten um den Spitzel herum, der Merob mit klarem Blick entgegensah. »Du kommst spät, Erste Mutter, doch ich weiß um dein Unwohlsein und vergebe dir. Die Große Mutter hat mich unterrichtet. Sie will, dass ich von nun an ihr Priester bin, ihre Stimme in den Ohren der Menschen. Du aber bleibst die Erste Mutter, die gütige Herrin, die unseren Bund anführt. Und nun sei so gut, Mutter, und löse meine Fesseln.«
Merob blickte fassungslos auf die Geister, die in schillerndem Reigen um den Kristall und ihren Gefangenen tanzten. Nie zuvor hatte sie so viele gesehen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Hatte die Große Mutter nun an ihrer Stelle entschieden? Würde dieser Mann ihr Nachfolger werden? Warum hatte Nangog ihr sein Kom men nicht angekündigt?
Merob stützte sich an der Höhlenwand ab. Sie hatte das Gefühl, dass all ihre Kräfte sie verlassen wollten. »Befrei unseren Freund«, wies sie Artiknos an, der vom Anblick der Geister nicht weniger ergriffen schien, als sie es war. Alle Schönheit Nangogs spiegelte sich in diesem Tanz.
Der Priester wirkte nicht erschöpft. Keine Krämpfe schüttelten ihn, obwohl er so lange an den Kristall gefesselt gewesen war. Mit federndem Schritt kam er ihr entgegen. Merob kannte diese Kraft, die die Große Göttin ihren Auserwählten schenkte. Als junge Frau hatte sie manchmal nächtelang durchgetanzt, um Nangog zu ehren. Sie seufzte. Diese Zeiten waren lange vorüber.
Nun kniete der Priester neben ihr nieder und ergriff mit gewinnendem Lächeln ihre
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