Drachenelfen
entgegen. Der nächtliche Wanderer bewegte sich mit der arroganten Anmut einer Katze; ein dunkler Kapuzenmantel verhüllte seine Gestalt. Wer war das?
Aya lief quer über das Dach. Wenn sie sich beeilte, konnte sie kurz vor dem Durchgang einen Blick auf ihn erhaschen. Ganz gleich, wer es war, es war eine verwandte Seele. Sie beide schlichen bei Nacht durch den Palast. Aber er musste ein Mann sein! Eine Frau würde dort unten nicht herumlaufen.
Mit leisem Scharren öffnete sich die Pforte zum nächsten Hof. Dieser Ort war belebter. Sie sah Schreiber mit breiten Gürteln, in denen Griffel steckten. Auf den Armen die Holzrahmen mit den nicht einmal handgroÃen Kästchen, in die feuchter Ton gestrichen war. Einige Krieger lungerten herum. Zum Glück waren sie nicht sonderlich aufmerksam. Ein fluchender Viehtreiber zerrte seine Lastesel über den Hof und durch das gegenüberliegende Tor wurde eine ganze Kolonne von Männern in ärmlicher Kleidung herangeführt. Jetzt erkannte Aya, wo sie sich befand. Es war der Hof, von dem aus der magische Pfad zur Goldenen Stadt führte. Die Männer waren neue Siedler.
Die Gestalt im Kapuzenumhang war verschwunden. Aya wagte sich noch etwas weiter vor und streckte den Kopf über die Brüstung. Unter ihr sprachen mehrere Krieger mit einem Mann, der eine Perücke aus schwarzem Pferdehaar trug. Wahrscheinlich einer der Satrapen des Reiches. Sie zog sich ein wenig zurück.
Fackelträger hasteten über den weiten Platz, ein unverständlicher Ruf erklang und plötzlich war da der groÃe silberne Löwe, den sie schon einmal gesehen hatte, als sie aus der Neuen Welt zurückgekehrt war. Ein Bogen aus schillerndem Licht hob sich aus dem staubigen Boden.
Prickeln lief über Ayas Haut. Einige der Siedler schrien erschrocken
auf, andere warfen sich zu Boden. Einige erfahrene Weltengänger wagten es als Erste, auf dem Goldenen Pfad ins Dunkel zu treten. Die Krieger drängten die Siedler zusammen. Einer schien es sich anders überlegt zu haben. Er wollte davonlaufen, doch kam er nicht weit. Die Krieger packten ihn und zerrten ihn dem Lichtbogen entgegen. Plötzlich kam ein Wind auf. Wolken schoben sich vor das Narbengesicht des Mondes. Staub wurde auf dem weiten Platz aufgewirbelt. Flüche und Rufe hallten durch die Nacht. Ein Lastesel bockte und sein Huftritt schickte den Viehtreiber in den Staub.
Aya entdeckte den Mann mit dem Kapuzenmantel mitten unter den Siedlern. Eben war er noch nicht dort gewesen. Es schien, als habe der Wind ihn hergeweht. Eine Bö riss ihm die Kapuze vom Kopf. Sofort zog er sie wieder auf, doch Aya hatte sein Gesicht gesehen. Es war unverwechselbar. Ein Gesicht, über das wohl schon jeder im Palast gespottet hatte. Datames, der Hofmeister. Jetzt trug er die Kleider eines einfachen Bauern. Aber er war der einzige unter den Siedlern ohne einen Bart. Auf seine grelle Schminke hatte er in dieser Nacht verzichtet und sein Gesicht wirkte unnatürlich blass. Während er die Kapuze wieder über sein gelocktes Haar zog, hob er den Kopf und blickte in ihre Richtung. Aya hatte das Gefühl, dass er über die groÃe Entfernung genau in ihre Augen sah. Erschrocken wich sie von der Brüstung zurück. Es war unmöglich, dass er sie hier oben entdeckt hatte! Aya wagte noch einmal, über die Brüstung zu blicken. Der Hofmeister war verschwunden und mit ihm alle übrigen Siedler. Was tat er dort unten? Warum schlich er sich in aller Heimlichkeit in die Neue Welt davon? Hatte noch jemand anders ihn erkannt? Oder waren sie alle vom Staub geblendet gewesen, den der plötzliche Windstoà aufgewirbelt hatte?
Aya zog sich zurück. Sie würde in die Sicherheit des Harems flüchten. War es möglich, dass Datames sie gesehen hatte? Was hatte er dort unten getan? Und was würde er noch tun? Sie verraten?
D IE BLAUE HALLE
Gonvalon blinzelte gegen das helle Sonnenlicht an, das durch das Laubdach des Eichenhains fiel. Es war lange her, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Lyvianne hatte einen Boten geschickt und alles arrangiert. Allein deshalb schon war er skeptisch, dass Nandalee ein gerechtes Urteil erwartete.
Seine Schülerin sah sich aufmerksam um. »Wo sind wir hier?«
»Bei einem oft besuchten Albenstern. Von hier führt ein Weg zu dem Platz, an den ich dich bringen soll.« Gonvalon dachte an seinen Pegasus. Es war lange her, dass er zu den Wolken geflogen war. Er
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