Drachenelfen
wusste Nandalee plötzlich mit tödlicher Gewissheit. Sie hätte niemals hierherkommen dürfen!
Nandalee kniff die Augen zusammen, aber es nutzte nichts. Sie sah immer noch das Fenster. Sein Bild hatte sich fest in ihrem Verstand eingenistet â und die Glasscherben begannen sich zu bewegen. Ein grässliches Knirschen, das vom Ohr bis ins Mark der Knochen drang, begleitete das Gedankenbild.
Die Elfe presste sich die Hände auf die Ohren. Vergebens! Dieser Laut lieà sich nicht ausschlieÃen. Voller Zorn schrie Nandalee auf. Sie wollte das Geräusch übertönen. Sie würde kämpfen, sich nicht einfach ergeben. Sie würde das Fenster zerstören! Sie hatte Trolle besiegt â da würde sie sich doch nicht von einem verfluchten Fenster in die Knie zwingen lassen! GleiÃendes Licht schlug ihr entgegen, so hell, dass es wie glühende Nadeln in ihre Augen stach.
Zurück!, dachte sie, doch stattdessen machte sie nur einen weiteren Schritt auf das Fenster zu. Sie war völlig gefangen von seinem Zauber.
Sie wollte nach ihrem Dolch greifen. Die Klinge mitten hineintreiben in die Flut aus Licht, aber sie schaffte es nicht einmal, die Hand zum Gürtel zu bewegen. Stattdessen ging sie noch einen Schritt vorwärts. Und noch einen. Ihr Körper, diese gut trainierte Waffe, auf die stets Verlass gewesen war, gehorchte ihr nicht mehr! Nandalee hatte sich noch nie in ihrem Leben so sehr gefürchtet.
Nandalee wagte es immer noch nicht, ihr Verborgenes Auge zu öffnen. Sie befürchtete, dann von der Macht des Fensters endgültig überwältigt zu werden. Noch vermochte sie sich zumindest gegen das zu widersetzen, was das Fenster ihr zeigen wollte.
Dunkle Bilder. Abgründe voller Schrecken. Wenn sie im Geiste dieser Macht auch nur einen Schritt entgegenkam, würde sie in den Wahnsinn gezerrt.
Das Fenster hatte sich in einen Mahlstrom aus wirbelndem Licht verwandelt. Die blasse Atemwolke vor ihrem Mund wurde in das Licht hineingezogen.
Verzweifelt versuchte Nandalee, sich an die Lehren des Schwebenden Meisters zu erinnern. Wie konnte man einen Zauberbann brechen? Sie musste ihren Geist lösen. Das war der erste Schritt. Sich alldem entziehen auf einer Insel der Erinnerung unangreifbar durch die Gegenwart werden. Sie dachte an Gonvalon. Ein wohliges, warmes Gefühl nistete sich in ihrem Bauch ein, als es ihr gelang, sich sein Gesicht zu vergegenwärtigen, seine Lippen auf den ihrigen zu spüren.
Eine Bewegung riss sie zurück in die Gegenwart. Ihr Arm zuckte hoch! Sie streckte die Hand nach dem Fenster aus. »Nein!«
Niemand hörte ihren Schrei. Sie hätte nicht hierherkommen dürfen. Zumindest nicht allein. Ihre Finger waren jetzt nur noch wenige Zoll von dem wirbelnden Licht entfernt, und das Geräusch übereinanderschleifenden Glases schnitt in ihren Verstand. Sie stellte sich schnell rotierende Glasscherben mit messerscharfen Kanten vor.
Das Bild Gonvalons verblasste, und nur noch die Angst blieb zurück. Das Fenster hatte gewonnen. »Nein«, flüsterte sie â und berührte das Fenster. Blut spritzte auf, als ihre Fingerkuppen Stück für Stück abgehobelt zu Boden fielen. Dann verschlang sie das Fenster.
B LUTSPUR
Bidayn war müde. So wie jeden Morgen. Sie hasste es, sich zum Laufen hinauszuschleppen. Obwohl sie jetzt schon so viele Monde lang übte, wurde ihr immer noch schlecht. Es dauerte nur länger,
bis es geschah. Sie klammerte sich an die vage Hoffnung, dass sie irgendwann einmal in ein paar Monden vielleicht so weit wäre, dass sie die WeiÃe Halle wieder erreichte, bevor der Zeitpunkt der Ãbelkeit kam. Allerdings hatte sie den Verdacht, dass die Meister dann ihre Laufstrecke verlängern würden. Wenigstens, so dachte Bidayn mit einem Anflug von Stolz, musste Nandalee sie nicht mehr tragen. Sie schaffte es jetzt auf ihren eigenen Beinen zurück! Obgleich ⦠Sie lächelte zynisch. Es war ganz schön kümmerlich, stolz darauf zu sein, dass sie nicht mehr zusammenbrach, sondern sich nur noch die Seele aus dem Leib kotzte.
Verdammte Läufe! Jeden Tag ausgerechnet damit beginnen, dass ihr vor Augen geführt wurde, was sie am schlechtesten konnte? Ãbellaunig trat sie durch das Portal und ging zu der Wiese, auf der sie sich jeden Morgen trafen. Sie kam an einigen anderen Schülern vorbei, hielt den Blick gesenkt und grüÃte niemanden. Manche von ihnen hatten gute Laune!
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