Drachenelfen
Vielleicht wäre Nandalee noch hier, wenn sie sich dazu früher entschieden hätten.
Gonvalon ging in den tiefen Stand des erfahrenen Schwertkämpfers. Er bewegte seine Hände, als gelte es, einen groÃen Ball vor seinem Bauch zu balancieren. Langsam. Er hielt das Schwert in der Linken. Die Klinge war dicht an seinen Arm gepresst, Zeigefinger und Mittelfinger der Rechten waren ausgestreckt. Er konnte die Kraft, die das magische Netz durchströmte, in sich flieÃen spüren. Und seine Bewegungen waren in Harmonie mit dieser Kraft. Lange hatte er so nur mit einigen auserwählten
Schülern geübt. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass Ailyn ihn beobachtet hatte. Vor zwei Wochen war sie überraschend zu ihm gekommen und hatte vorgeschlagen, dass sie alle seinen Schwerttanz lernen sollten.
Stolz erfüllte ihn, als er sah, wie sich Schüler und Meister mit ihm bewegten. Alle im gleichen Tempo. Selbst Bidayn hatte es schnell gelernt. Noch beherrschten sie nicht alle Figuren, doch den Auftakt hatten sie gemeistert. Dreimal wiederholte er mit ihnen, was sie bereits gelernt hatten, dann begannen sie mit den Ãbungen für eine neue Figur. Sie mussten tief in die Knie gehen. Ein Bein angewinkelt, das andere gestreckt, bis die Sehnen an den Innenseiten der Beine schmerzten. Das Ãbungsschwert war dicht über dem Boden. Die Linke berührte mit Zeigefinger und Mittelfinger den Puls am rechten Handgelenk. Er spürte nicht nur das Blut, ganz deutlich fühlte er auch die Kraft, die alle Dinge in dieser Welt miteinander verband, durch sich hindurchströmen. Der Schwerttanz lehrte die Schüler, eins zu werden mit allem um sie herum. Wenn das gelang, würden sie sich nach allen Richtungen hin verteidigen können. Sie würden die Angriffe der Gegner kommen spüren, ohne sie sehen zu müssen, und ihre Klinge würde einen silbernen Bannkreis um sie weben, der für die Schwerter der Feinde fast undurchdringlich war. Zum Abschied verneigte er sich und lobte die Besten, aber auch einige der weniger Begabten, die Fortschritte gemacht hatten. Ganz von allein fanden die Schüler in Gruppen zusammen, als sie zum Frühstück gingen.
»Du hast die WeiÃe Halle verändert, Gonvalon«, sagte Ailyn, als alle anderen gegangen waren.
Er sah sie an und wusste, dass sie kam, um ihn aufzumuntern. »Nicht ich. Du! Ich habe diese Ãbungen für mich und ein paar Auserwählte ersonnen. Das war sehr selbstsüchtig. Und ein weiterer Beweis dafür, wie wenig ich dazu tauge, ein Meister zu sein. Ich sollte zu den Drachenelfen im Jadegarten gehen und kämpfen.«
Ailyn hob scherzhaft tadelnd einen Finger. »Hör auf dein Herz und du weiÃt, wie sehr du hier gebraucht wirst.«
»Gerade auf mein Herz sollte ich seltener hören.« Kaum waren die Worte über seine Lippen, da bedauerte er sie. Er wollte sein Selbstmitleid nicht zu anderen tragen. Sich nicht so sehr offenbaren.
Sie sah ihn an, als könne sie bis auf den Grund seiner Seele blicken. »Opfere die Gegenwart nicht der Vergangenheit.« Sie legte ihm kurz eine Hand auf den Arm. Flüchtig. Dabei wirkte sie unbeholfen. Sonst blieb sie immer auf Distanz. Gonvalon konnte sich nicht erinnern, dass Ailyn ihn auÃer bei Kampfübungen je berührt hätte.
Sie ging ohne ein weiteres Wort.
Er fragte sich, wie viel sie ahnte. Er musste sich besser beherrschen, durfte sich nachts nicht mehr in Nandalees Kammer schleichen. In ihrem Bett, in ihren Kleidern war noch ein wenig von ihrem Geruch. Wenn er sich in ihr Bett legte, war es fast so, als sei sie noch da.
Am Morgen war er aufgewacht, weil er glaubte, ihren Blick auf sich zu fühlen. Dabei starrte ihn nur der kleine Vogel an. Piep hing genauso an ihr wie er. Jeden Morgen war er drauÃen auf der Fensterbank und wartete darauf, dass Nandalee zurückkehrte.
Gonvalon lächelte bitter. Dass er etwas mit einem Vogel gemeinsam hatte, sprach nicht gerade für seinen Verstand. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand bemerkte, was er tat, und er zum Gespött der WeiÃen Halle wurde. Er würde noch einmal darum bitten, zu den Drachenelfen im Jadegarten versetzt zu werden. Zumindest für einige Monde. Auch wenn er dort Nodon treffen würde. Vor langer Zeit waren sie einmal Freunde gewesen. Bis seine erste Schülerin zwischen sie beide getreten war. Nodon hatte geglaubt, dass sie ihn liebte, und er war überzeugt gewesen, er habe
Weitere Kostenlose Bücher