Drachenelfen
Natürlich hatte er nicht verstanden, was mit Gonvalon abgesprochen war. Was er wohl gefühlt hatte? Konnte er spüren, dass sie es war, die sich bei ihm eingenistet hatte? War er ihr böse?
Nandalee dachte an Gonvalon. Sie erinnerte sich, wie sie ihm im Sommer nach einer Schwertkampflektion im Pavillon einige Küsse gestohlen hatte. Er hatte protestiert, weil sie so nahe bei der WeiÃen Halle waren. Hinter einer Hecke, kaum vierzig Schritt entfernt, übte ein Fechterpaar, und der helle Klang der Klingen hatte ihren Ãberfall auf ihn begleitet. Er hatte nicht gewollt, dass ihre Liebe in der WeiÃen Halle zum Gesprächsthema wurde. So hatte Nandalee selbst Bidayn gegenüber geschwiegen. Allerdings war sie sich ziemlich sicher, dass ihre Freundin zumindest geahnt hatte, was vorging.
Die Gedanken an Gonvalon brachten süÃen Schmerz. Mit ihm die Liebe zu entdecken war das gröÃte Abenteuer gewesen, das ihr Leben bislang für sie bereitgehalten hatte. Ihm so plötzlich und unvermittelt entrissen zu werden hatte sie tiefer erschüttert als die Trennung von ihrer Sippe. Vielleicht, weil sie in der Halle des Drachen kaum etwas anderes zu tun hatte, als nachzudenken. Wenn sie nur zum Pavillon könnte! Gonvalon wenigstens sehen. Piep hatte den Wald erreicht und landete auf einem kahlen Birkenzweig. Wachsam blickte er zum Himmel. Auf der Suche nach dem Schattenriss eines Falken oder eines anderen Räubers. Nandalee konnte fühlen, was ihn bewegte. Er
hatte Hunger und er war ein wenig durcheinander. Er konnte ihre Anwesenheit spüren.
Ob sie ihn zum Pavillon locken konnte? Sie dachte an die halb hinter Rosenranken verborgenen Säulen. An den FuÃboden mit seinem wunderbaren Meeresmosaik. Wie Piep die Dinge wohl sah? Das Meeresmosaik war für ihn wahrscheinlich nur eine Ansammlung bunter Steine, so beliebig wie Kiesel, die am Ufer eines Baches lagen.
Nandalee dachte an die kleinen gelbgrünen Schmetterlingsraupen, die Piep besonders gerne fraÃ. Sie versuchte ein Bild von ihnen in ihren Gedanken zu erschaffen. Ein Bild in allen Einzelheiten. Mit den blauschwarzen Haaren, den dunklen Augen. Ein Bild, wie sie sich krümmten, um vorwärtszugelangen. Als sie all ihre Erinnerungen an die Raupen fokussiert hatte, stellte sie sich den Mosaikboden des Pavillons vor. Und sie lieà Raupen darüber kriechen.
Piep trat unruhig von einem Bein auf das andere. Nandalee konnte seinen Hunger spüren. Er stieà sich von dem dünnen Zweig ab und flog. Er eilte dem Pavillon entgegen. Sie hatte ihn überlistet. Einen Vogel! Sie war nicht stolz auf sich.
Gonvalon wartete bereits. Der Wind spielte mit seinem weiten weiÃen Gewand. Vollkommen in sich selbst versunken, blickte er auf den Boden des Pavillons. Die Bilder des Meeres waren unter einer dünnen Schicht aus kaltem Weià verschwunden.
Piep landete genau in der Mitte des Pavillons. Mit ruckenden Bewegungen sah er sich um. Er suchte die Raupen. Dann drängte Nandalee in sein Bewusstsein. Sie begann ihren Tanz, malte mit zierlichen KrallenfüÃen und Flügelspitzen, doch nachdem sie die ersten beiden Buchstaben ihres Namens geschrieben hatte, vermochte sie sich nicht mehr zu erinnern, wie fortzufahren war. Wieder und wieder versuchte sie es. Es war, als sei auch ihr Wille von einem Fremden gelenkt. War der Dunkle hier? Hatte er einen Bann auf sie gelegt?
Dreimal hatte sie NA in den Schnee geschrieben. Dann würde
sie den Ort verraten, an dem sie gefangen war. Es war der Jadegarten. Das verborgene Tal, in das der Dunkle sich zurückzog.
Erneut begann sie ihren unruhigen Tanz. Hüpfte, sprang und scheiterte. JA. Das war alles, was sie zu schreiben vermochte.
Erschöpft hielt sie inne. Bilder von bunten Raupen bestürmten sie. Hunger.
Gonvalon blickte zu ihr hinab. Die Buchstaben waren unsauber ausgeführt. Manche überlagerten einander. Was konnte sie tun? Sie hatte NA JA in den Schnee geschrieben! Was mochte er nur denken? Dass sich jemand einen Scherz mit ihm erlaubte?
Sie hatte einen letzten, verzweifelten Gedanken. Wenn sie sich durch Schrift nicht auszudrücken vermochte, dann vielleicht durch ein einzelnes Zeichen. Ein Zeichen, das weder ihr Name war, noch etwas über den Ort verriet, an dem sie sich aufhielt. Und doch mochte es Gonvalon das Wichtigste mitteilen. Dass sie lebte.
Nandalee kämpfte gegen ihre Unbeholfenheit und gegen Pieps Schwäche. Sie hatte ihrem kleinen
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