Drachenelfen
Erwartungsvoll blickte sie zu Gonvalon auf.
»Ich wünschte, du könntest reden. Dich quält etwas, das sehe ich.« Er strich ihr mit einem Finger über den Kopf und sie empfand es so intensiv, als habe er wirklich sie berührt.
»Du musst mit deinen Kräften haushalten. Der Winter will seine erste Schlacht schlagen. Der Nordwind wird bald wieder über die Berge kommen. Ich kann den Sturm kommen fühlen. Es wäre klug, wenn du mit deinem Weib und deinem Nachwuchs Zuflucht hier im Zimmer suchst. Da wird euch nichts â¦Â« Er lachte auf. »Was tue ich! Ich rede mit einem Vogel!«
Nandalee begann zu zwitschern und schlug mit den Flügeln. Warum blickte er nicht in den Schnee?
»Sogar du bist erschrocken über mich, wie ich sehe. Vor dir steht der gröÃte Narr der WeiÃen Halle und sie nennen mich einen Meister â¦Â« Er wandte sich ab.
Wieder zwitscherte sie. Noch eindringlicher jetzt. Und dann begriff sie, was für einen Fehler sie gemacht hatte. Die beiden Buchstaben waren nicht nur krumm und schief, sie standen, von Gonvalon aus betrachtet, auch noch auf dem Kopf!
»Was führst du für ein Spektakel auf?« Er trat noch einmal ans Fenster. Wenigstens das. Nandalee versuchte irgendeinen Laut hervorzubringen, der einem elfischen Wort wenigstens ähnelte. Es war vergebens. Vogelschnabel und Zunge waren nicht dazu geschaffen, Worte zu formen. Nicht bei Drosseln.
Sie hüpfte in Richtung der Buchstaben und breitete einen Flügel aus, um in groÃer Geste auf ihr Werk zu deuten.
Gonvalon lächelte. Zumindest das!
»Was bist du, Piep? Ein Gaukler unter den Vögeln?«
Sie nickte und verneigte sich.
Ihr Geliebter lachte laut auf. »Man könnte meinen, dass du mich verstehst.«
Wieder nickte und verbeugte sie sich. Dann deutete sie erneut
mit einem ausgestreckten Flügel auf die beiden krakeligen Buchstaben. Endlich beugte sich Gonvalon vor. Er betrachtete die Spuren im Schnee. Sie hörte ihn scharf einatmen.
»Das gibt es nicht! Das â¦Â« Er streckte die Hand nach ihr aus und sie hüpfte ihm in die offene Handfläche. Behutsam hob er sie hoch, bis er sie dicht vor Augen hielt. Sein Gesicht war, durch die Augen der Misteldrossel gesehen, eine weite, leicht verzerrte Fläche. Fremd und schreckenerregend.
»Was bist du?«
Sie piepste, was natürlich nicht half.
»Was bedeutet das? NA? Ist es ein Zufall? Kannst du mir noch mehr schreiben?«
Sie stieà ein lang gezogenes Trillern aus. Nandalee konnte spüren, wie erschöpft und verängstigt Piep war.
Gonvalons Hand zitterte. »Flieg hinab vor die WeiÃe Halle. Zum Pavillon auf dem südlichen Weg, wo ⦠WeiÃt du überhaupt, wo Süden liegt? Haben Vögel Namen für Himmelsrichtungen?«
Wieder piepste sie. Der Schwertmeister hielt sie immer noch dicht vor seine Augen, als hoffe er, auf diese Weise ihr Geheimnis ergründen zu können. »Flieg zum Pavillon«, sagte er schlieÃlich und setzte sie wieder auf das Fenstersims. Nandalee war verwundert. Er hätte sie auch einfach mitnehmen können. Vielleicht wollte er auf diese Weise ergründen, ob sie ihn auch wirklich verstanden hatte.
Unschlüssig tappte sie zum Rand des Simses. Wie sollte sie fliegen? Einfach mit den Flügeln schlagen würde wohl nicht reichen. Sie schreckte vor dem unglaublichen Abgrund zurück. Eigentlich waren es nur drei oder vier Schritt vom Fenstersims bis zur verschneiten Wiese unter ihrem Fenster. Aber für Piep war es ⦠Verdammt, sie war ein Vogel! Natürlich konnte sie fliegen. Nicht denken, handeln, schalt sie sich still und stürzte sich in die Tiefe. Sie streckte die Flügel aus und flatterte wild drauflos.
Nandalee überschlug sich. Sie stürzte dem Schnee entgegen und wich zurück und ⦠Piep übernahm das Fliegen. Er war die
ganze Zeit über hier gewesen. Sie hatte ihn ausgesperrt ⦠Nein, das war nicht das richtige Wort. Sie hatte ihn entmachtet. Ihm seinen Körper gestohlen und er hatte dabei zusehen müssen. Erst ihre Angst hatte ihn befreit. Er fing den Sturz ein paar Handbreit über dem Boden ab, stürmte dem Himmel entgegen und flog halsbrecherisch durch eine Lücke im Geäst einer Hecke. Sie konnte seinen Ãbermut fühlen. Seine Freude daran, wieder ganz Herr seiner selbst zu sein.
Er flog auf den verschneiten Wald zu, in dem er im Sommer seine Brut aufgezogen hatte.
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