Drachenelfen
jetzt. Am Abend vielleicht. Bidayn schluckte trocken. Sie dachte an Sayn. Es war nicht klug, Nandalee zu verärgern. Beherzt beschleunigte sie ihre Schritte und hielt sich nun dicht an Gonvalons Seite. Bei dem Schwertmeister fühlte sie sich sicherer.
Es war später Nachmittag, als die gewundene BergstraÃe sie endlich an das Ziel ihrer Reise führte â die Stadt der Menschenkinder. Nie zuvor hatte Bidayn einen solchen Ort gesehen oder auch nur davon gehört, und der Anblick erfüllte sie gleichermaÃen mit Staunen und Schrecken. Sie hatte den Gestank der Menschensiedlung â eine Mischung aus Rauch und Fäkalien â seit einer Weile riechen können, doch nun blickte Bidayn von der letzten Hügelkuppe aus auf ein weites Flusstal und eine Welt, die sich der Schöpfung entfremdet hatte. Die tiefer gelegenen Hänge des Tals waren terrassiert worden. Scheibe auf Scheibe schoben sie sich übereinander. Mauern aus Bruchstein fassten die Ränder ein. Zum Fluss hin standen alle Felder unter Wasser. Zarte Schösslinge erhoben sich aus dem gelbbraunen Nass. Weiter oben wurde Gemüse angebaut und Obstgärten waren angelegt. Ein Labyrinth steiler Treppen führte zwischen den Feldern hindurch. Riesige,
hölzerne Räder hoben Wasser aus dem Fluss den Hang hinauf. Es wurde in groÃen Becken gesammelt, von denen gemauerte Rinnen zu den Feldern und Gärten verliefen. Noch weiter den Hang hinauf schmiegten sich Häuser an den Fels. Dicht ineinander verschachtelt, ohne eine erkennbare Ordnung. Ãber etliche der Dächer erhoben sich Masten, von denen Fahnen wehten. Manche Häuser waren von einer steilen Kuppel gekrönt. Von Ferne sahen sie aus, als stecke ein riesiges Ei in einem Mauergeviert.
Höhlen wie klaffende Mäuler öffneten sich im graubraunen Fels. Manche waren von Reliefs flankiert, die häufig eine geflügelte Frau zeigten, der neben den Flügeln Waffen aus dem Rücken zu sprieÃen schienen. Nahe den Höhlen hatten die Menschenkinder Rampen in den Fels geschlagen, die die Hänge hinab zu groÃen Halden aus Abraum führten.
Nahe der Abraumhalden ragten ruÃgeschwärzte Kamine dicht an dicht auf wie steinerne Wälder. Sie spien ihren dunklen Odem in das Tal, und der Rauch zog wie ein Schleier dahin. Besonders seltsam erschienen Bidayn mächtige Türme, aus deren oberen Geschossen dicke Rundhölzer sprossen wie Stacheln aus Kakteen. Welchen Zweck die Türme wohl erfüllten, vermochte sie sich nicht zu erklären. Alles hier war unerklärlich und fremd! Warum hatten die Menschen das getan? Warum hatten die Menschen diesem Ort seine ursprüngliche Gestalt geraubt? Sogar der Fluss am Talgrund war mit Mauern eingefasst. Mehrere groÃe Staubecken, aus denen die Wasserräder schöpften, hatten das ursprüngliche Flussbett ersetzt. Bidayn nahm an, dass es sich wohl um einen Seitenarm des Stroms handelte, dem sie auf ihrer Reise so lange gefolgt waren. Weit entfernt konnte sie einen ungebändigten, weià schäumenden Wildbach erkennen, der aus den Bergen hinabschoss. Jenseits der Staubecken war davon nur ein kümmerliches Rinnsal geblieben, in das offene Kanäle den Unrat der Stadt erbrachen.
Die Menschenkinder hatten Nangog steinerne Fesseln angelegt, dachte Bidayn. Doch die Welt hatte sich dagegen aufgebäumt.
Das Erdbeben hatte Schneisen der Verwüstung in die von den Menschenkindern nach ihren Wünschen geordnete Natur geschlagen. Einige der Terrassenfelder waren abgerutscht. Dicht bei einem umgestürzten Wasserrad, das einige kleinere Gebäude unter sich begraben hatte, war der Hang auf einer Breite von mehr als hundert Schritt ein Durcheinander entwurzelter Bäume, gesplitterter Stämme und zerschmetterter Kronen. Dutzende Häuser waren an den höher gelegenen Hängen in sich zusammengebrochen oder gar in die Tiefe gestürzt, wobei sie alles, was unter ihnen lag, unter Lawinen aus Bruchstein und Balken mit sich fortgerissen hatten. Steinerne Zungen der Verwüstung leckten die Hänge hinab. Der Gestank von verbranntem Fleisch hing auch hier in der Luft. Dort, wo die Häuser am dichtesten beisammenstanden, wüteten noch immer Brände. Flammensäulen erhoben sich aus eingesunkenen Dächern und beständig rieselte Asche vom Himmel. Selbst dort, wo die Brände erstickt waren, stieg immer noch Rauch aus den Ruinen.
Ãberall sah Bidayn Flüchtlinge. Manche
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