Drachenelfen
beugten, vermochten nicht, ihre Gedanken zu lesen. Sie war frei. Freier, als es je ein Elf vor ihr gewesen war.
Und sie machte den Regenbogenschlangen Angst.
Nandalee wurde klar, dass sie aus diesem Grund wahrscheinlich sterben würde. Warum sollten die Drachen etwas dulden, das gegen die Ordnung der Welt verstie� Hatten die Alben sie nicht zu ihren Statthaltern gemacht, um ebendiese Ordnung zu wahren?
Der Sommergoldene peitschte wild mit seinem Schwanz und fauchte. War er für oder gegen sie? Sie war überrascht, dass die Drachen überhaupt stritten. Selbst ihr war klar, wie das enden musste. Da gab es nichts zu reden. Sie hatte immer schon das Gefühl gehabt, anders zu sein. Seit dem Tod ihrer Eltern im Schneesturm war sie als Unglücksbringerin verschrien gewesen. Nur Duadan hatte sich für sie eingesetzt â und auch ihm hatte sie Unglück gebracht. Dass sie den Troll getötet hatte, würde den Untergang ihre Sippe bedeuten, wenn die Trolle jemals herausfanden, wo sie aufgewachsen war.
Der Abgrund neben dem Felsgrat verschwamm. Die Dunkelheit bodenloser Tiefe füllte sich mit Form. Der Grat verschwand. Sie stand jetzt auf einem aus massiven Steinquadern gefügten Boden, auf dem vereinzelt bunt schillernde Drachenschuppen lagen. Unsicher tastete Nandalee mit dem Fuà nach dem Boden. Er war fest, keine Illusion! Aber sie hatte auch den Abgrund für echt gehalten. Was war Trug, was war Wirklichkeit? Erschrocken blickte die Elfe zu den Regenbogenschlangen. Waren auch sie nur Trugbilder? Waren sie wirklich dort, oder gab es am Ende nur einen einzigen Drachen, der ihr das alles vorgaukelte? Nein, das war absurd! Welchen Sinn sollte das haben?
Wie um ihren letzten Gedanken zu unterstreichen, veränderte sich jetzt auch das Licht. Alle Farben wurden blasser, als nähme etwas ihnen die Leuchtkraft, und die Regenbogenschlangen schienen in ihrem stummen Disput innezuhalten und verharrten reglos. Die meisten blickten zu einem groÃen Bogengang, der bislang verwaist geblieben war.
Schritte näherten sich, schwere Stiefelsohlen auf Stein. Ein Schatten. Ein Elf? Ja, es war tatsächlich ein Elf! Er trat in das Rund des riesigen Saals. Noch immer verharrten die Drachen. Hatten sie Respekt vor ihm? Fürchteten sie ihn? Oder war es erneut nur ein Trugbild?
Der Elf sah sie forschend an. Er hatte Augen vom Blau eines Winterhimmels, der sich in Eis spiegelte. Er wirkte unnahbar, aber nicht furchterregend. Nandalee gefiel das ernste, ebenmäÃige Gesicht mit den vollen Lippen und dem energischen Kinn, das vielleicht eine Spur zu breit war. Schwarzes, leicht gewelltes Haar fiel dem Elfen auf die Schultern. Er trug einen Brustpanzer aus schwarzen Schuppen, auf denen ein leichter Blauschimmer lag. Waren es Drachenschuppen? Nein, gewiss nicht. Nicht hier, mitten unter den Regenbogenschlangen!
Die Arme des Elfen waren nackt, seine Haut sehr hell, die Hose aus weichem, lose fallendem Stoff. Schwarze Schaftstiefel lieÃen jedem seiner Schritte ein scharfes Klacken folgen.
Der Elf blieb auf Armeslänge vor Nandalee stehen. Er war ein ganzes Stück gröÃer als sie. Zwei Handbreit vielleicht.
»Wer bist du?« Kaum waren die Worte über ihre Lippen, bereute sie es, gesprochen zu haben. Sie sollte sich keine Verfehlung leisten! Es stand ihr nicht zu, hier Fragen zu stellen.
»Für Euch bin ich der Dunkle. Manche nennen mich auch den Farbentrinker. Meinen wirklichen Namen werdet Ihr niemals erfahren, Elfentochter.«
Er sprach! Seine Stimme war angenehm. Sie erklang nicht in ihrem Kopf, wie all die Drachenstimmen. Ihr Ton war dunkel und wohltönend. Ein Lächeln nahm seinen Worten ein wenig von ihrer Schroffheit.
»Nie zuvor hat eine Elfentochter für so viel Aufruhr unter den Erstgeschlüpften gesorgt wie Ihr, Nandalee. Und das obendrein in so kurzer Zeit! Erstaunlicherweise habt Ihr in dem, den sie den Goldenen nennen, einen Freund. Er hat Gonvalon und Ailyn geschickt, um Euch vor den Trollen zu retten. Auch jetzt hat er sehr entschieden für Euch gestritten. Er gehört zu jenen, die glauben, dass unsere Welt sich verändern muss. Andere halten die Schöpfung der Alben für vollkommen und betrachten Veränderung als einen Frevel am Werk unserer Schöpfer. Was denkt Ihr, Dame Nandalee?«
Sie atmete schwer ein. Philosophische Gedanken waren nicht ihre Welt. Allerdings ahnte sie, dass ihr Leben von ihrer Antwort abhing â und dass
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