DRACHENERDE - Die Trilogie
bringen?
Nur einer hatte überlebt, und das war er – Rajin.
Er hatte bisher nicht die Zeit gehabt, wirklich über diese Dinge nachzudenken. So traf ihn die Erkenntnis mit doppelter Wucht – die Erkenntnis, dass die vier jungen Männer, die Katagi hatte ermorden lassen, seine Brüder gewesen waren, die Erkenntnis, welche Verpflichtung mit dem Erbe verbunden war, dass er anzutreten hatte.
Der Drache schlief unterdessen ein, und da erst nahm Liisho den Drachenstab wieder zurück.
Er deutete damit auf eines der Gebäude. Es handelte sich um einen für die Verhältnisse von Qô relativ gut erhaltenen Kuppelbau. Schon beim ersten Rundblick war Rajin aufgefallen, dass dieser eine intakte Tür und sogar ein Fenster aus gemaltem Glas aufwies, was ansonsten nirgends zu finden war.
„Dort habe ich mich einquartiert“, verriet der Weise. „Und genau dort werdet auch ihr in der nächsten Zeit wohnen. Es sei denn, euch ist meine Herberge nicht gut genug. Dann steht es euch natürlich frei, irgendwo anders Unterschlupf zu suchen. Häuser gibt es hier ja nun wirklich genug. Allerdings sind nur die wenigsten in einem Zustand, der sich mit dem Begriff ›bewohnbar‹ umschreiben ließe. Und falls ihr glaubt, das Wetter sei immer so freundlich wie heute, sodass man im Grunde auf dieser Insel gar keine Behausung brauche, so muss ich euch leider enttäuschen.“
„Der Himmel wirkt tatsächlich so, als wäre hier noch nie eine dunkle Wolke vorbeigezogen“, meinte Bratlor. „Aber ich nehme an, dass sich das im Handumdrehen ändern kann.“
„Oh, du bist auf deinen Reisen sogar bis zu den Ufern des östlichen Ozeans gekommen?“, fragte Liisho den Sternenseher auf die herablassende, spöttische Art, die er ihm gegenüber an den Tag zu legen pflegte. „Dann scheint es ja fast, als hätte ich dich unterschätzt, Bratlor!“
Ein mildes, etwas matt wirkendes Lächeln glitt über Bratlors Züge. „Du würdest in mir wahrscheinlich auch dann noch den Barbaren sehen, würde ich mir nach Art der Drachenier den Bart rasieren.“
„Gewiss“, gab Liisho zurück. „Denn wie du siehst, trage ich entgegen der drachenischen Sitte auch einen Bart. Es kommt nicht auf die Haarpracht an, sondern auf das, was sich darunter verbirgt – und das ist in den meisten Fällen leider unverbesserlich!“
„So will ich dir sagen, dass ich keineswegs bis zur Küste des östlichen Ozeans gekommen bin“, eröffnete ihm Bratlor. „Aber auf der Sternenseherschule gab es einige Lehrer, die uns vieles über diese heißen Gewässer zu berichten wussten. Unter anderem von Stürmen, deren Heftigkeit sich in Nichts von den tosenden Unwettern der nordwestlichen See unterscheidet.“
„Ja, das ist wahr“, nickte Liisho. „Manchmal hört der grollende Donner über Tage und Wochen nicht auf, und man hat den Eindruck, dass die unzähligen Blitze den Himmel aufreißen, als würde ein kosmisches Tor geöffnet.“
„Ist das der Grund, weshalb diese Insel nicht mehr bewohnt wird?“, fragte Bratlor.
Da schüttelte der Weise den Kopf. „Nein, der Grund dafür ist ein anderer. Aber den werdet ihr noch früh genug erkennen …“
„Das klingt wie eine finstere Drohung“, meinte Bratlor spöttisch.
„Das ist es durchaus“, erwiderte der Weise Liisho sehr ernst. „Die Insel der Vergessenen Schatten trägt ihren Namen nicht umsonst. Und wäre sie ein lieblicher, angenehmer Ort, dann würden ihn längst Drachenier oder Tajimäer bevölkern, und es wäre unmöglich für mich gewesen, mich hier so lange zu verbergen. Doch nun folgt mir! Ich brauche euer beider Hilfe bei der Versorgung der Drachenwunden. Es gibt da ein paar Tinkturen, die ich für solche Fälle zubereitet habe und die wir nur noch auftragen müssen. Allerdings sollten wir das hinter uns bringen, solange Ayyaam noch schläft, denn diese Prozedur ist für die arme Kreatur nicht unbedingt angenehm.“
Rajin hatte zu dem Wortwechsel der beiden anderen nichts weiter beigetragen. Während Bratlor und Liisho bereits einige Schritte in Richtung des Kuppelbaus zurückgelegt hatten, war Rajin zurückgeblieben. Er hatte – einer plötzlichen Eingebung folgend - das magische Pergament aus dem Gürtel gezogen und entrollt. Dort, wo sich zunächst Nyas und anschließend des Magiers bewegtes Bild befunden hatte, waren nur verwaschene Farbflecke. Doch schon im nächsten Moment begannen sich diese Flecke zu bewegen. Sie flossen ineinander, bildeten Formen aus oder veränderten ihre Farbe.
Liisho musste
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