DRACHENERDE - Die Trilogie
Schwert und fasste den Anderthalbhänder mit beiden Händen.
Liisho hatte sich inzwischen einigermaßen erholt und erhob sich, während Ganjon den Kopf des Magiers von der Empore warf und dann wieder nach unten kletterte.
Rajin trat vor den gläsernen Kasten, in dem Nya lag. Liisho stellte sich zu ihm.
Unterdessen öffnete sich ein Flügel der Kathedralenpforte. Einer der Schattenkrieger des Fürsten vom Südfluss trat ein. „Mein Prinz! Alle Wächter sind getötet, aber eine Armada von Kriegsdrachen nähert sich der Zitadelle! Wir haben nicht mehr viel Zeit!“
„Wir werden gleich aufbrechen“, versprach Liisho. „Katagi werden wir wohl nicht mehr in diesen Gemäuern finden, auch wenn uns Ubranos sein magisches Abbild präsentierte.“ Er trat näher an Rajin heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Komm jetzt, Rajin. Seien wir zufrieden damit, einen der schlimmsten Schergen des Usurpators getötet zu haben.“
„Ist Nya wirklich tot?“, fragte Rajin. „Stimmt es, was Ubranos sagte?“
Liisho berührte den gläsernen Kasten. Eine Falte entstand mitten auf seiner Stirn. „Ihre Seele ist an einem Ort, an den du ihr nicht zu folgen vermagst“, sagte er nach einer Weile. „In dieser Hinsicht sprach Ubranos die Wahrheit. Aber ich würde ihren Zustand eher als einen todesähnlichen Schlaf bezeichnen.“
„Und das Kind?“
„Ich weiß es nicht.“
„Aber es besteht Hoffnung?“
„Rajin“, sagte Liisho sehr ernst, „wenn du in die Hände des Feindes fällst, besteht für niemanden mehr Hoffnung!“
Rajin hob den Anderthalbhänder, holte aus, um den gläsernen Kasten zu zerschlagen.
„Nein, Rajin!“ Liisho hielt ihn auf, indem er sich zwischen Rajin und dem sargähnlichen Kasten stellte. „Es kann sein, dass sich ihr Zustand dadurch von einem todesähnlichen Schlaf in einen schlafähnlichen Tod wandelt.“
Rajin starrte ihn an, senkte das Schwert. Er wandte sich an Ganjon. „Ich brauche Männer, die diesen Kasten hier rausbringen und ihn auf Ghuurrhaans Drachenrücken schnallen“, rief er. „Ich werde weder Nya noch mein ungeborenes Kind noch den Leichnam meines treuen Freundes Bratlors hier zurücklassen!“
Die Männer zurrten den gläsernen Kasten auf Ghuurrhaans Rücken mit Riemen und Seilen fest. Gleiches taten sie mit dem Leichnam Bratlors.
Als sich Ghuurrhaan und Ayyaam in die Lüfte erhoben, waren die ersten Kriegsdrachen schon heran. Ayyaam versengte sie mit einem Feuerstrahl, der mächtiger war als alles Drachenfeuer, zu dem die Geschöpfe aus den kaiserlichen Ställen jemals fähig gewesen wären. Außerdem wandte Liisho einen Zauber an, mit dem er den Geist der Drachen kurzzeitig verwirrte.
Liisho, Rajin und Ganjons Schattenkrieger gewannen so einigen Vorsprung. Noch eine ganze Weile hörten sie hinter sich das dröhnende Gebrüll der kaiserlichen Kriegsdrachen, bis sie in eine dichte Wolkenfront eintauchten und es ihnen gelang, die Verfolger abzuschütteln.
Höher und höher stiegen sie auf, und die Kälte, die er auf einmal spürte, erinnerte Rajin an den Ort, an dem er aufgewachsen war. Schließlich traf gleißendes Sonnenlicht die beiden Drachen. Die Wolkenfront hatten sie unter sich gelassen. Die Luft war so dünn wie auf hohen Bergen und von vollkommener Klarheit.
„Nur die Inseldrachen wagen es, so hoch zu steigen“, erklärte Liisho später dazu.
Rajin aber dachte an Nya: Wo immer deine Seele auch sein mag, vielleicht hört sie jetzt meine Gedanken. Und so werde ich meine Gedanken sprechen lassen, ohne zu wissen, ob du sie verstehst, so wie auch du mit mir gesprochen hast, ohne eine Antwort zu erwarten …
Epilog
So kehrte Prinz Rajin ins Südflussland zurück, und sein Herz war schwer. Nya wurde in dem gläsernen, an einen Sarg nach drachenischer Art gemahnenden Kasten in der Gruft von Burg Sukara aufgebahrt, ebenso wie der Leichnam von Bratlor Sternenseher, der dem Prinzen ein teurer Freund und Kampfgefährte gewesen war und dem deshalb jede Ehre zuteil wurde.
Die Nachricht aber, dass Rajin Ko Barajan den Kampf gegen den Tyrannen auf dem Drachenthron aufgenommen hatte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land und war ein Fanal für alle, die schon nicht mehr zu hoffen gewagt hatten.
Die Chronik der Fürsten vom Südfluss; XXIV. Foliant
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Alfred Bekker
Drachenring
2. Band der Drachenerde-Saga
Inhalt
Erstes Buch:
Prinz Rajin der Verdammte
1. Kapitel: Zerberstender
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