DRACHENERDE - Die Trilogie
Allerdings werden auch unser beider Kräfte nicht ausreichen.“
Doch Rajin wollte das nicht wahrhaben. Er rief die Webergesellen und befahl ihnen, die Fäden wieder aus dem Geflecht des Teppichs zu trennen, um das bestehende Muster aufzulösen. Na los, worauf wartet ihr?, drängte er.
Aber nur wenige der Vielbeiner setzten sich in Bewegung. Und diese wenigen verharrten bereits wieder in einer für ihre emsige Art untypischen Starre, noch bevor sie einen einzigen beseelten Faden aus dem Teppich gezogen hatten.
„Es ist einfach gegen ihre Natur“, stellte die Gedankenstimme kühl fest. „Spürst du es nicht? Hast du beim Kampf gegen den Riesen jeden Sinn für die innere Kraft verloren, dass du nicht merkst, wie sehr diesen Kreaturen zuwider ist, was du ihnen aufzudrängen versuchst? Sie wollen nicht ihr eigenes Werk zerstören, können es schlichtweg nicht.“
„Dann muss man sie zwingen!“, rief Rajin laut. Dabei ahnte er schon, wie sinnlos dies war. All diese Kreaturen geistig unter seiner Herrschaft zu halten, war schon schwierig genug. Aber sie zu nötigen, etwas zu tun, das dem Sinn ihrer Existenz auf radikalster Weise widersprach, erforderte einfach weit mehr, als ihm zur Verfügung stand.
Dennoch nahm Rajin noch einmal all seine Kraft zusammen, aber er fühlte, dass das Wesen in der Metallhand recht hatte: Die Macht, über die er verfügte, reichte einfach nicht aus, dass die Weber jenes unerhörte Werk vollbrachten, das er von ihnen forderte. Sie stießen aufgeregte zirpende Laute aus, und ein Schwall von ablehnenden Gedanken erreichte den letzten Drachenkaiser.
„Was ist los?“, fragte ihn Kallfaer. „Sag nicht, dass du auf einmal ratlos bist – jetzt, da der Schicksalsgott vernichtet ist!“ Er wies auf den Anfang des Teppichs mit den unzähligen Webern, die dort zuvor mit ihrer filigranen Arbeit beschäftigt gewesen waren. Zudem ragten überall die Stacheln der Träger aus dem Gewebe hervor, von den Käferwesen darin eingehakt, um den Teppich sehr langsam, aber stetig über den Boden zu ziehen. „Was ist? Sollen wir den Teppich in Flammen aufgehen lassen und alles vernichten? Wenn wir es nicht tun, wird das gegenwärtige Schicksal irgendwann, vielleicht in einem Äon, bei den Köhlern angelangt sein, und dann werden sie es zu Asche verbrennen. Aber so viel Zeit bleibt dem Jademond nicht.“
„Wohl kaum“, antwortete Rajin, bevor er sich umdrehte und
auf die Jadekuppel zuging. Das Tor, durch das Groenjyr ins Freie getreten war, stand noch immer offen und war höher, als es selbst der höchste Kathedralenturm des Drachenlands gewesen war.
„Was hast du vor?“, rief Kallfaer. Aber Rajin hörte ihn nicht mehr, was allerdings nicht an dem lauter und ungeduldiger werdenden Zirpen der Weber und Träger lag. Rajins Metallhand glühte auf, wobei sich das von ihr ausgehende Licht veränderte: Zuerst war es ein weißes Strahlen, das an eine Sonne erinnerte, dann wurde es zu Schwarzlicht, und innerhalb weniger Augenblicke verlor auch die Hand selbst ihr messingfarbenes Äußeres, wurde dunkel und wirkte auf einmal wie aus Blei. Nur die Drachenringe blieben, wie sie waren.
Die Vergessenen Schatten, die Rajin mit der Metallhand aufgenommen hatte, beherrschten ihn. Eine Kraft aus der Vergangenheit, die ihn übernommen hatte und seine Schritte lenkte, weil sie eine verwandte Macht erspürt hatte.
Rajin schauderte, während er sich wie von selbst bewegte und die Jadekuppel betrat. Nie zuvor hatte er ein Gebäude von auch nur annähernder Größe gesehen, und von innen wirkte es noch viel gewaltiger als von außen. Ein jadefarbenes Leuchten ging von dem Kuppeldach aus und erhellte das Bauwerk, das für unvorstellbar lange Zeiten die Residenz eines Gottes gewesen war.
Ein schwerer, fast betäubender Geruch hing in der Luft. Rajin bemerkte eine Reihe von Fässern, viele davon umgestürzt und leer. Die anderen enthielten offenbar den berauschenden Trunk, den Groenjyr so maßlos genossen hatte. Auf dem Steinboden entdeckte er getrocknete Lachen.
Rajin ging bis zur Mitte des Kuppelraums und kniete nieder. Mit der Metallhand berührte er den Steinboden, und dann spürte er sehr deutlich jene Kraft, die bisher von jener des Schicksalsgottes überdeckt worden war.
Brajdyr, der Gott der ewigen Verwandlung, schoss es Rajin durch den Kopf. Er wurde zu Stein, und den machte der Schicksalsgott zum Fundament seiner Residenz.
„Du hast lange gebraucht, mich zu erkennen“, antwortete ihm eine Gedankenstimme,
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