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Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Titel: Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Ziegenmeyer
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unvollkommen bedeckte. Dann ließ er seinen Blick grimmig über den Platz schweifen. Das Knistern der Flammen erstarb allmählich, dann und wann war gepeinigtes Stöhnen zu hören.
    „Ok – und was machen wir jetzt?“
    Ungeschickt kam der Wolpertinger über einen Haufen von Zeltgestänge herangewatschelt.
    „Vielleicht sollten wir uns aus dem Staub machen?“, fragte er schüchtern. „Irgendwann werden sie herausfinden, dass wir nur zu dritt sind! Außerdem wissen wir noch immer nicht, was das überhaupt für ein Ort ist.“
    William musterte das Wesen unter sich mit einem langen Blick. Er mochte keine Wolpertinger. Soweit es den Volksmund betraf, dienten sie lediglich als regionale Hauptdarsteller der humorigen Gruselfolklore. Mit den echten Wolpertingern jedoch verhielt es sich ein wenig anders. Zumindest, wenn man dem Druden Glauben schenkte. Obwohl in der Mehrzahl putzig anzuschauen, gehörten sie eindeutig zur Familie der zwielichtigen Fabeltiere – was maßgeblich an ihrem Ursprung lag.
    William hatte keine empirischen Untersuchungen durchgeführt, war anhand eigener Anschauung jedoch sicher, dass sich die breite Masse der Fabelwesen recht profan vermehrte. Trolle mochten eine gewisse Ausnahme bilden, doch darüber wollte er lieber nicht nachdenken. Bei den Wolpertingern jedenfalls wurden derlei Dinge anders gehandhabt.
    Zum allergrößten Teil bestanden sie aus herrenloser Magie, magia vagabundans genannt, die irgendwo abgefallen war und nun ziellos durch die Welt zigeunerte. Diese magia vagabundans war für eine ganze Reihe seltsamer Vorkommnisse verantwortlich. Doch damit ein Wolpertinger entstand, brauchte es noch etwas anderes.
    Die Fachsprache nannte es ‚narrative Interferenzen’. Wann immer jemand eine Geschichte erzählte und im entscheidenden Moment zweifelte, wer als nächstes darin vorkommen sollte, zogen verschiedene Bilder durch seinen Kopf. Und war zufällig eine ausreichende Menge magia vagabundans in der Nähe, dann entstand ein Wolpertinger.
    Dies allerdings wäre noch nicht ausreichend, ihren schlechten Ruf zu erklären. Denn abgesehen davon, dass sie am Ende dabei herauskamen, hatten die putzigen Wesen mit dem Vorgang selbst ja nichts zu tun. Das änderte sich jedoch, als der Geheimbund der Wolpertingeristen die Bühne betrat. Diese Vereinigung, geführt durch ihren Hohepriester und langjährigen Kassenwart Kilian Hölzlhammer, hatte es sich zum Ziel gesetzt, Erzähler auf der ganzen Welt an den entscheidenden Stellen aus dem Konzept zu bringen, um so die Entstehung neuer Wolpertinger voranzutreiben. Letztlich verfolgten sie nichts anderes, als die vollständige Wolpertingerisierung der ganzen bekannten Welt.
    Am Ende fiel auch Kilian Hölzlhammer der Inquisition in die Hände, und sein Orden löste sich auf. Der schlechte Ruf der Wolpertinger jedoch blieb.
    William räusperte sich.
    „Wie heißt du, mein Junge?“
    „Rasputin Borkenschreck.“
    Der Kobold zögerte.
    „Nun, Rasputin, bisher hat es auch zu dritt ganz gut geklappt, oder?“
    Lilly, die auf dem Boden sitzend die Ausbeute des Nachmittags zusammenzählte, warf ihm ein begeistertes Lächeln zu. Vergnügt klemmte der Kobold die Daumen hinter seine Hosenträger.
    „Wenn du mich fragst, dann ist dies hier genau der richtige Ort. Scheint eine ruhige Gegend zu sein. Arglose Leute. Kommt uns gut zupass.“
    Er schenkte dem Wolpertinger ein verschwörerisches Lächeln. Doch einen winzigen Augenblick später zuckten seine leicht gespitzten Ohren. Er hörte etwas – ein fernes Brummen, das schnell näherkam. Diesmal wurde es nicht von Sirenen begleitet. William stellte fest, dass er einen Moment lang gefürchtet hatte, das Geräusch könnte sich als Hufgetrappel und fernes Glockenläuten entpuppen. Seit ihrer Begegnung mit der Inquisition hegte er in dieser Richtung ein wenig Argwohn. Doch auch so würde es sich kaum um ein warmherziges Begrüßungskomitee handeln.
    Noch einmal betrachtete er den Wolpertinger, dann sprang der Kobold vom Tisch herab und hob eine einzelne Holzlatte vom Pflaster auf. Aus dem Mundwinkel zischend wies er Lilly an, die Sachen zu packen. Eilig schüttete sie die Münzen in einen großen Beutel, den sie sich über die Schulter schwang. Die Papierscheine warf sie fort. Das Motorbrummen kam unterdessen näher und wurde kurz darauf durch das Geräusch quietschender Reifen ergänzt. Die drei versuchten zu erkennen, was draußen vor sich ging, doch die Schuttbarrikaden versperrten ihnen die Sicht.

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