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Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Titel: Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Ziegenmeyer
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durch das Unterholz pflügte. Sie hatte einen schrecklichen Verdacht, und mit jedem Schritt, jedem Atemzug wurde er wahrscheinlicher. Sie brach zwischen einigen Bäumen durch – und erreichte unvermittelt das obere Ende der Rabenklippen.
    Auguste spürte, wie der Rand der Abbruchkante unter ihrem Schuh bröckelte und klammerte sich an einen jungen Baum. Unter ihr erstreckte sich ein unendliches Meer von Fichtenwipfeln. Schnaufend versuchte sich die Hexe zu beruhigen, und ihr Blick glitt in die Ferne. Das Bild, das sich ihr dort bot, räumte jeden Zweifel aus: Schinkelstedt brannte.



Kapitel 3
„Charmante Schweinehunde und ungewaschene Männlein“
    Der Schinkelstedter Marktplatz bot derzeit ein recht vielschichtiges, im Ganzen jedoch durchweg disharmonisches Bild. Die meisten der ehemals urigen Verkaufs- und Bratbuden hatten sich in Trümmerberge verwandelt. Zahlreiche davon standen in Flammen, und einige existierten nur mehr als Aschekegel.
    Die meisten Touristen waren geflohen, nur einige tapfere Ausnahmen und die Schinkelstedter selbst hielten noch aus. Immer wieder stürzten sich Einzelne in das Chaos hinein, um wenigstens etwas noch zu retten. Die Glücklichen unter ihnen kehrten wenige Augenblicke später zurück – mit bleichen Gesichtern und dem festen Vorsatz, sich nie wieder an diesen Nachmittag zu erinnern. Die Unglücklichen indes begegneten einem Männlein, das etwa dreißig Zentimeter Körpergröße vorweisen konnte – und genug Durchtriebenheit für einen Kontinent voller Halsabschneider.
    Die meisten Leute hätten William McAnger schlicht als Schweinehund bezeichnet. Er selbst betonte jedoch, dass es sich bei seiner Person um einen Schweinehund mit Charme handelte. Nach seinem Dafürhalten traf sich dies hervorragend mit den übrigen Charaktereigenschaften eines Kobolds.
    Seine besondere Spezialität waren Nasenwurzeln. Derzeit hielt er sich am Kragen eines Polizisten fest und zielte mit der Stirn nach dessen Exemplar.
    Seine Frau Lilly war eine Fee und hätte als solche durchaus zu den angenehmen Erscheinungen zählen können. Sie war von zierlichem Wuchs, ihre gläsernen Flügel erzeugten kleine Regenbögen, und beständig umgab sie ein leises, ätherisches Säuseln. Dem stand jedoch ihre Liebe zu fremdem Eigentum und die mangelnde ästhetische Begrenzung ihres Wortschatzes entgegen.
    Gegenwärtig sang sie höchst obszöne Lieder, während sie fröhlich zwischen einigen Bewusstlosen entlangschlenderte. Mit flinken Fingern leerte sie deren Brieftaschen und überzeugte sich mit kräftigen Tritten davon, ob sie eventuell schon für eine neue Tracht Prügel infrage kamen.
    Kennengelernt hatten sich die beiden 1658. Sie war ein junges Feending, kaum kräftig genug, zusammen mit den anderen die Krüge voll Morgentau zu sammeln. Er war ein junger Tunichtgut, der seinem Vater, dem Koboldkönig von Wales, gerade den Weinkeller ausgeräumt hatte und daraufhin in Ungnade fiel. Gemeinsam galten sie als Bonnie und Clyde der keltischen Elfenwelt, und als sie endlich zu ihrer Hochzeitsreise auf den Kontinent aufbrachen, da ging ein erleichtertes Seufzen quer durch Britannien.
    Auch ihr Schicksal führte sie letztlich in die Hände der Inquisition – und das mussten die Schinkelstedter nun
büßen. Denn im Allgemeinen lieben Kobolde es wenig, wenn Menschen sich in ihre Angelegenheiten mischen. Und in besonders drastischer Form gilt dies für ihre Flitterwochen.
    Der dritte Protagonist inmitten der Verwüstung schien durchweg harmloser Natur. Zögerlich wanderte er zwischen den Trümmern umher und versuchte, einen möglichst unbeteiligten Eindruck zu machen. Sein Körper war im Wesentlichen der eines überproportionierten Kaninchens. Darüber hinaus verfügte er allerdings auch über watschelige Entenfüße und ein überbordendes Hirschgeweih.
    Auf eigentümliche Weise gelang es ihm, diese unterschiedlichen Teile tatsächlich als zusammengehörig erscheinen zu lassen. Er wirkte sogar ein bisschen possierlich. Davon abgesehen wies ihn dieser Aufzug jedoch eindeutig als Wolpertinger aus – und das bescherte ihm kein leichtes Leben.
    Widerstrebend ließ William McAnger schließlich den Kopf seines bewusstlosen Opfers los und sprang auf einen noch funktionstüchtigen Verkaufstisch mit Heimatlektüre. Der Schutzmann versank daraufhin mit leichtem Scheppern im allgemeinen Gerümpel. Betont langsam rückte William einen formlosen Filz zurecht, der ihm als Hut diente, das struppige, schwarze Koboldhaar jedoch nur

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