Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
dazu leisten, die Ordnung wieder herzustellen. Doch so lange wir die Hintergründe nicht aufgeklärt haben, können wir leider nicht sicher sein, dass sich etwas Ähnliches nicht wiederholt.“
Leonardo de Vendetta holte kurz Luft und fuhr dann mit entschlossener Miene fort.
„Mit freundlicher Genehmigung des Bürgermeisters habe ich aus diesem Grund einen kleinen Zeltstützpunkt errichten lassen. Im Wesentlichen möchten wir damit unseren seelsorgerischen Aufgaben nachkommen. Doch sollte unsere Unterstützung darüber hinaus auch in anderer Form gebraucht werden, würden wir uns dieser Verantwortung nicht entziehen. Ich danke Ihnen.“
Mit steinerner Miene ließ der Kardinal noch einige Fragen über sich ergehen, dann flammte das Blitzlichtgewitter ein letztes Mal auf. Anschließend wandte sich de Vendetta um und kehrte ins Innere eines großen Zeltes zurück, das man für ihn auf dem Schinkelstedter Marktplatz errichtet hatte.
Die Bulldozer waren schnell zur Hand gewesen, und nun befand sich im Herzen des Dorfes ein buntes Zeltgemenge mit Notunterkünften, Essensausgaben und mobilen Beichtstühlen. Hinter de Vendettas Rücken versuchten zwei junge Novizen die nachsetzende Reportermenge zu bändigen.
Nachdem sich der Zelteingang wieder geschlossen hatte, nahm er das schwarze Obergewand seiner Ordenstracht ab und warf es über die rechte Seite seines Schreibtisches. Langsam lockerte er den Sitz der Halskrause und ließ sich dann geräuschvoll in den Sessel auf der anderen Seite des Tisches fallen.
Es war ein anstrengender Tag gewesen. Anstrengend und zu gewissen Teilen unerwartet. Doch keinesfalls unerfreulich. Das Missionslager war errichtet, die Saat ausgebracht, und wenn er auf das Geräusch der Hubschrauber über sich lauschte, gedieh sie prächtig. Von offizieller Seite suchte man noch immer nach einer Bande kleinwüchsiger Brandstifter, aber das würde sich schon bald erledigt haben. Um genau zu sein, gab er dieser Vorstellung nur noch wenige Stunden zu leben.
Dass die vermaledeite Hexe im entscheidenden Moment auftauchte und den anderen zur Flucht verhalf, war nicht geplant gewesen. Auf der anderen Seite machte es kaum einen Unterschied.
Es war nicht mehr wichtig, über ihren genauen Aufenthaltsort informiert zu sein. Es war nur wichtig, dass es sie gab. Dass sie sich irgendwo dort draußen herumtrieben und dem esoterischen Vorstellungsvermögen der Leute ganz unwillkürlich ein paar kleine Impulse gaben. Natürlich wäre ihm absolute Kontrolle lieber, doch vorerst war sie nur schwer durchsetzbar – und letztlich würde es auch ohne gehen.
Leonardo de Vendetta beugte sich vor, schaltete ein Bildtelefon auf seinem Schreibtisch ein und lächelte verstohlen. Selbst der einigermaßen verwirrende Bericht des jungen Nikodemus von Schlupp war unter den Händen einer hungrigen Starreporterin noch zu einer bizarren Sex&Crime-Geschichte ausgebaut worden. Es lief beinahe wie von selbst.
Der Monitor des Telefons zeigte kurz ein schwarzweißes Bildrauschen, dann wurde er dunkel, und ein blinkendes „Verbindung wird hergestellt“ erschien. Gleich darauf blickte de Vendetta in das Gesicht von Bischof Korkenbaum.
„Eminenz?“
„Mein lieber Bischof, ich wollte mich nur kurz über den Stand der Dinge in unserer Basis informieren.“
Über das Gesicht des Angesprochenen huschte ein säuerlicher Ausdruck, der jedoch rasch verschwand.
„Die Arbeiten sind beinahe abgeschlossen.“
„Sehr gut. Ausgezeichnet sogar. Seine Heiligkeit wird morgen gegen Abend eintreffen. Und ich wünsche nicht, dass es irgendeinen Punkt gibt, in dem wir seine Erwartungen enttäuschen.“
„Jawohl, Eminenz. Aber unsere Aufgabe ist doch im Wesentlichen schon erfüllt, die Probanden sind ausgesetzt.“
„Ach, Korkenbaum. Ich habe mich entschlossen, die Dimensionen unseres Experiments ein wenig großzügiger zu gestalten. Der heutige Tag war nichts als ein mittelmäßiger Auftakt.“
„Bei allem Respekt, ich bin mir nicht sicher, ob wir das den Leuten antun sollten... sie werden in Panik geraten.“
„Nun, Korkenbaum, nach den Erfahrungen, die ich soeben sammeln durfte, sind wir über diesen Punkt bereits hinweg. Die Menschen befinden sich in Panik und bedürfen nun dringend einer helfenden Hand, die ihnen in dieser schweren Zeit ein wenig Halt gibt.“
Die letzten Worte wurden von einem zweifelhaften Säuseln begleitet.
„Aber, mit Verlaub, all das ist doch bloß passiert, weil wir…“
„Korkenbaum“, unterbrach ihn
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