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Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt

Titel: Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Ziegenmeyer
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Schließlich hörten sie, wie das Brummen erstarb. Metallene Türen quietschten, und es folgte das Stakkato eiliger Schritte. Dann war es still.
    „Ich seh’ mal zu, ob ich was rausfinden kann“, flüsterte Lilly, und William nickte langsam. Ängstlich rückte der Wolpertinger an den Kobold heran, während die Elfe den Beutel wieder absetzte und mit dem Sirren filigraner Flügel im Rauch über ihnen verschwand.
    Ein tiefes Schweigen breitete sich über den gesamten Schinkelstedter Marktplatz. Jedes der beiden Fabelwesen konnte den Herzschlag des anderen hören. Schließlich schwirrte über ihnen etwas durch die Luft, ein spitzer Aufschrei erklang, und wenige Augenblicke später war Lilly wieder bei ihnen – wütend.
    „Diese Mistkerle haben versucht, mich mit einem Netz zu fangen!“ Düstere Vorahnungen statteten dem Bewusstsein des Kobolds einen Besuch ab.
    „Hagere Burschen in schwarzen Kutten?“
    „Ja“, wisperte sie, „sehen nicht sonderlich fröhlich aus, sind dafür aber ziemlich viele.“ Die düsteren Vorahnungen wurden stärker und begannen damit, sich häuslich einzurichten.
    „Ist dir sonst noch etwas aufgefallen?“
    Sie nickte.
    „Jeder von ihnen trägt ein eingesticktes Flammenkreuz auf der Brust.“
    Der Kobold zog die Stirn in Falten.
    „Ein...?“
    „…Flammenkreuz.“
    „Nun, das bedeutet vermutlich auch nichts Gutes.“
    Sie rückten enger zusammen. Plötzlich flogen einige kleine Messingkapseln auf den Marktplatz. Sie beschrieben einen hohen Bogen, glänzten in der Sonne und zerplatzten dann mit einem scheppernden ‚Plink’ auf dem Kopfsteinpflaster in je zwei Hälften. Weiße Dunstschwaden quollen daraus hervor. William hustete und spuckte. Weihrauch. Kurz darauf hörten die drei ein neues Brummen. Es klang vertrauter und weniger ungestüm als das erste. Ein von vielen Männerstimmen getragener Singsang. Seine Melodie war behäbig und träge – und wurde auf allen Seiten aufgenommen.
    „… libera me, Domine, de morte aeterna, in die illa tremenda... dies illa, dies irae, calamitatis et miseriae... errette mich, Herr, vor dem ewigen Tod, an jenem Tag des Schreckens … jenem Tag, dem Tag der Sünden, des Unheils und des Elends…“
    „Was sollen wir jetzt machen?“, fragte eine dünne Stimme oberhalb von William. Der Kobold wandte den Blick und schaute zum Gesicht des Wolpertingers hinauf. Er runzelte die Stirn, dann senkte er den Blick wieder. Rasputin hatte seine Entenfüße gegen ein stattliches Paar flauschiger Bocksbeine getauscht. Er wirkte denkbar verlegen.
    „Was zum…“, begann der Kobold.
    „Keine Zeit. Was machen wir jetzt?“
    In diesem Moment zeichneten sich im Dunst die Umrisse schwarzer Kutten ab. Weihrauchfässer wurden geschwungen und Wedel mit Weihwasser. Überall drängten Priester auf den Platz, dahinter zeichnete sich eine geschlossene Front von Schinkelstedtern ab. In den Händen hielten sie Schürhaken, Mistgabeln und allerlei andere Dinge – kurz: Das Gros der auf dem Land verfügbaren Argumentierhilfen und Diskussionsbeschleuniger.
    Für einen kurzen Augenblick konnte man das Geräusch dreier kleiner Herzen hören, die synchron unter die Gürtellinie rutschten. Mit mühsamer Entschlossenheit hob William seinen Knüppel.
    „Rührt euch nicht vom Fleck.“
    Der monotone Singsang verwandelte sich in einen düsteren Choral, der bedrohlich zwischen den Priestern hin und her wechselte.
    „... quando coeli movendi sunt et terra. Dum veneris iudicare saeculum per ignem... wenn Himmel und Erde wanken. Bis dass Du erscheinst, um die Welt durch Feuer zu richten…”
    Immer enger schloss sich der Kreis, während die Stiefel von Priestern und aufgebrachten Marktleuten über das Pflaster stampften. Immer dicker wurde die Luft durch die schweren Weihrauchdämpfe.
    Der Choral steigerte sich zu einem donnernden Crescendo.
    „…libera me, Domine, de morte aeterna… befreie mich, Herr, vom ewigen Tod.“
    Schließlich hielten die Schritte inne, und der Gesang brach ab. Der Kobold, die Fee und der Wolpertinger blickten sich um. Der gesamte Platz war von Priestern umstellt. Sie hielten die Köpfe gesenkt, und das Dunkel ihrer Kapuzen verbarg ihre Gesichter. Trotzdem spürten die drei eine Unzahl aufmerksamer Blicke. Leichter Wind kam auf und zupfte an den Weihrauchschwaden.
    Plötzlich öffnete sich der schweigsame Kreis und eine hohe Gestalt betrat das Rund. Sie wirkte wie ein Gebirge aus Gelatine, das man mit Gewalt in ein Ordensgewand hineingestopft

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