Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
hatte. Und auch durch den schweren Weihrauchqualm konnte man einen gewissen strengen Geruch bemerken. Im Gegensatz zu den anderen trug dieser Mann sein Antlitz offen und unverdeckt. Feuer gleißte in seinem Blick, und man konnte nicht behaupten, dass Pangasius Donnerhobel seinen Auftritt nicht genoss.
Mit drohender Stimme begann er zu psalmodieren, während er sich über die drei Gestalten beugte, die sich zitternd aneinanderklammerten. Bewaffnet war er mit einem langen Stab, dessen Spitze in einem rotgoldenen Kruzifix auslief. Sein Gesicht verdunkelte sich zu einer Wolke des Zorns. In den Augen wetterleuchtete es, als wolle im nächsten Augenblick ein Blitz aus ihnen hervorspringen und die drei niederstrecken.
Der Kobold flüsterte etwas. In der finsteren Miene erschien ein Stirnrunzeln.
In diesem Augenblick schleuderte William McAnger seinen Knüppel.
„Jetzt!“
Die Holzlatte traf Pangasius Donnerhobel direkt gegen die Nasenwurzel, und mit einem unterdrückten Schmerzensschrei prallte er zurück. Die drei Fabelwesen rannten los.
Eilig hasteten sie über die Fläche des Platzes, prallten dort gegen eine Mauer von Priestern und versuchten es an anderer Stelle von neuem. Die Priester ihrerseits zogen den Kreis allmählich enger. Nach und nach verwandelte sich der Marktplatz in eine wirre Masse von Füßen und anderen Gliedmaßen, in der drei kleine Gestalten ziellos hin und her flitzten und eine Vielzahl von Gegenständen mehr oder minder gezielt zu Boden ging.
Irgendwann hüpften die beiden Elfenwesen auf den Rücken des Wolpertingers, der mit seinen Bocksbeinen für eine dauerhafte Flucht weit besser gerüstet war. Doch auch die Fangversuche der Priester wurden mit der Zeit koordinierter, was ihre Chancen nicht eben erhöhte. Über allem lag die wütende Stimme von Pangasius Donnerhobel.
Plötzlich, als auch Rasputin bereits die Puste auszugehen drohte, ertönte von der anderen Seite des Marktplatzes ein dumpfes Pochen – gleich darauf von einem doppelten Klatschen gefolgt. Dort war mit einem Male die Gestalt einer Frau zu sehen. Sie hielt ebenfalls einen dicken Knüppel in den Händen, und vor ihr lagen die schlaffen Körper zweier Priester, an deren Köpfen sich kräftige Beulen abzeichneten.
„Hier entlang!“, rief sie.
Der einer Panik mittlerweile recht nahe stehende Rasputin warf ihr einen skeptischen Blick zu. Dann schaute er auf das klerikale Räumkommando hinter sich, und in seinem Kopf stießen zwei unterschiedliche Visionen seiner ganz persönlichen Zukunft aufeinander. Die eine war vage und ungestalt, während die andere einige handfeste Gewissheiten enthielt.
Noch einmal nahm er all seine Kräfte zusammen und lief.
Seit Wochen hatte Leonardo de Vendetta die düstere Miene geprobt, mit der er sich nun über die Mikrofone beugte. Er stand inmitten einer aufgeregt plappernden Menge von Journalisten, die miteinander um die
besten Plätze rangelten und ihn in ein Kaleidoskop von Blitzlichtern hüllten. Unter allem lag das monotone Surren unzähliger Videokameras.
Es war die erste offizielle Pressekonferenz dieses ereignisreichen Tages, und um keinen Preis wollte man etwas verpassen. Die Stimme des Kardinals hatte einen bedrohlichen, jenseitigen Klang und verströmte dennoch die Sicherheit natürlicher Autorität. Insgesamt hatte es nicht lange gedauert, bis die Journalisten zu dem Schluss kamen, dass ein Mann aus dem Vatikan sehr viel medienwirksamer war als der lokale Bürgermeister.
Letzterer war gleichwohl anwesend. Es handelte sich um einen kleinen, untersetzten Mann von fünfzig Jahren, der sich außerordentlich gut darauf verstand, gemütlich zu wirken. Des Weiteren trug er schütteres Haar und machte derzeit einen recht verlorenen Eindruck.
De Vendetta räusperte sich.
„Meine werten Damen und Herren, ich darf Ihnen versichern, dass ich über die Vorkommnisse des heutigen Tages zutiefst erschüttert bin. Zwar ist es noch zu früh, um eindeutige Schlüsse zu ziehen, doch ich möchte die Gelegenheit nutzen, den Bewohnern dieses Ortes mein tiefstes Mitgefühl auszusprechen.“
Der Kardinal legte eine kurze Pause ein und hüstelte geziert.
„Wir können bisher nicht sagen, was genau heute hier geschehen ist, doch die Berichte der Augenzeugen veranlassen uns zu tiefer Sorge. Nicht zuletzt deshalb bin ich froh über das beherzte Eingreifen einer Gruppe junger Priester, die sich zufällig in der Nähe befand. Durch ihre entschlossene Tatkraft konnten sie einen bescheidenen Beitrag
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