Drachenfliege Bd. 1 - Schatten über Schinkelstedt
Lichtschimmer einer Zigarettenglut. Zugleich war er den zurückliegenden Weg in Gedanken noch zweimal durchgegangen.
Mit weitreichenden Analysen war er gegenwärtig vorsichtig, doch es sprach zumindest einiges dafür, dass er ein wenig zu weit nach Osten abgekommen war. Und wenn aus seiner gegenwärtigen Perspektive Links mit Südwesten gleichzusetzen war, was er zumindest hoffte, dann sollte sich seine Situation dadurch ein entscheidendes Stück verbessern lassen.
Wenn er ganz besonders viel Glück hatte, stieß er nach diesem Gang auf einen mittelgroßen Raum, von dem so etwas wie eine Gesteinsrutsche abging – und, er blickte auf die Karte, wenn er sich danach zweimal rechts hielt, sollte er beinahe am Ziel sein. Sollte.
Missmutig starrte Zacharias Korkenbaum auf die Gangöffnung vor sich. Dann zog er noch einmal an der Glut und machte sich schimpfend auf den Weg. Die Zigarette
behandelte er dabei mit äußerster Vorsicht. Ihr Qualm half, den allgegenwärtigen Schwefelgeruch zu dämpfen. Und wenn er sich an alle anderen Fährnisse auch gewöhnen mochte: So langsam hatte der Bischof genug davon, durch eine Unterwelt zu kriechen, die beständig nach faulen Eiern roch.
Ängstlich kauerte sich der Archivar hinter seinem Tresen zusammen, während im Abstand von wenigen Sekunden an der Wand über ihm verschiedene Aktenordner zerplatzten. Als Wolke flatternder Zettel ließen sie ihren Inhalt herabregnen.
„Was glauben Sie eigentlich, was es mit dem Wort ‚vertraulich’ auf sich hat?“
Der Kardinal war in Höchstform. Bereits seit rund fünf Jahren hatte der Archivar die Ehre, mit ihm zu arbeiten. Zahlreiche Männer zogen es in dieser Zeit vor, sich nach einer persönlichen Aussprache mit Leonardo de Vendetta an den hinteren Rand der Christenheit versetzten zu lassen. Manche hatte man dorthin tragen müssen. Aber so hatte er ihn noch nie erlebt.
„Bischof Korkenbaum sagte, dass er in Ihrem Auftrag handelt! Außerdem dachte ich, er sei vielleicht zuständig. Schließlich befinden wir uns hier in seinem Bistum.“
„Zuständig? Machen Sie sich mit dem Gedanken vertraut, dass sich Zuständigkeiten ändern können! Und zwar sehr rasch. Wenn es nach mir geht, wird Bischof Korkenbaum demnächst mit einer Kehrschaufel durch diese Gänge ziehen. Und Sie dürfen ihm gern Gesellschaft leisten!“
Auf diese Worte folgten ein lautes Scheppern und hastige Schritte, die sich entfernten. Nach etwa fünf Minuten wagte es der Archivar, seinen Kopf über die Arbeitsplatte seines Tresens zu heben. Der Raum vor ihm sah aus, als sei er von einer Rotte manisch singender Flugblattverteiler durchzogen worden. Es würde Wochen dauern, dieses Chaos wieder zu beheben. Aber vielleicht hielt seine Zukunft schon ganz andere Probleme bereit.
Zacharias Korkenbaum hatte tatsächlich Glück. Allerdings vertrat er wenig später den griesgrämigen Standpunkt, dass Glück, wenn man es denn einmal hatte, auch gern zu etwas gut sein durfte – und in dieser Hinsicht sah er sich gründlich enttäuscht.
Wenn die vor ihm liegende Kammer tatsächlich das Ziel war, nach dem er so lange gesucht hatte, dann war sie zugleich der unspektakulärste Fund, den man sich nur denken konnte. Sie war weder atemberaubend groß, noch von verwegener Architektur – sondern genauso modrig und unansehnlich wie der Rest dieses alten Bergwerks.
Um der schlichten Wahrheit die Ehre zu geben, war sie nicht eindrucksvoller als ein durchschnittlicher Abstellraum. Zwar wusste sich der Bischof keine genaue Rechenschaft darüber zu geben, was er an diesem Ort eigentlich erwartet hatte, aber etwas enttäuscht war er schon.
Mit hängenden Schultern stand er in einem windschiefen Türrahmen, die Karte noch immer fest unter den Arm geklemmt, und ließ den Lichtkreis seiner Lampe hin und her huschen. Felswände, die von einem feinen und eng verwobenen Muster gelber Schwefeladern durchzogen waren. An manchen Stellen gedieh auch eine merkwürdige bleiche Flechtenart. Doch sonst gab es herzlich wenig zu erkennen.
Korkenbaum grübelte. Aus irgendeinem Grund hatte jemand diesen Ort von der alten Karte gekratzt. Aber er wollte verflucht sein, wenn er diesen Grund erraten könnte. Resigniert warf er seine abgebrannte Zigarette zu Boden und trat sie aus. Wenige Augenblicke später erinnerte ihn sein Gehirn daran, dass er soeben eine Besonderheit entdeckt hatte.
Der Schein seiner Lampe neigte sich herab, und Zacharias Korkenbaum sah etwas, das er schon seit Stunden nicht mehr
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