Drachengasse 13, Band 03
beiden Seiten der Tribüne Aufstellung.
Dann wurde die Königin hereingetragen. Wunderschön gesponnene Tücher bedeckten ihren glänzenden Insektenkörper, und Edelsteine funkelten an dem haubenartigen Netz, das sie auf dem dreieckigen Kopf trug. Ihr Körper wirkte in Tomrins Augen keinen Tag älter oder jünger als die der anderen Xix. Aber auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck heiterer Gelassenheit, der den Jungen an eine weise alte Frau erinnerte.
„Schau nur, wie prächtig sie aussieht“, flüsterte Hanissa neben ihm ehrfürchtig.
Tomrin nickte. Die Xix waren Insekten, und viele dumme Leute in Bondingor verglichen sie mit dem Ungeziefer, das auf Müllhaufen herumkrabbelte oder um Latrinen schwirrte. Dennoch wäre sicher auch nicht der Dümmste auf den Gedanken gekommen, die Königin der Xix für weniger wert zu halten als Baron Berun oder die Mitglieder des Steinrats der Zwerge. In ihrer Fremdheit erschien sie Tomrin sogar noch würdevoller als jene. Irgendwie strahlte sie Macht, Weisheit und Frieden aus.
„Spürst du das auch?“, fragte Hanissa ihn leise.
„Ich glaube schon“, erwiderte er. „Die Königliche Aura. Ich hätte nicht gedacht, dass sogar Nicht-Xix sie bemerken.“
„Und jetzt denk dir nur, wie viel stärker sie die Xix selbst berührt!“
Tatsächlich schien die Anwesenheit der Königin eine auffällige Wirkung auf die Xix zu haben. Von einem Augenblick zum nächsten senkte sich andächtige Stille überden ganzen Raum. Zweitausend Xix verstummten wie ein Mann und blickten erwartungsvoll in Richtung Tribüne.
Einer der Würdenträger, ein Xix mit dunkelbraunem Körper und blau glänzender Robe, stakste nach vorn. Er hob den Kopf und begann, in lauten, klaren Klick- und Zirplauten zu sprechen, die auf wundersame Weise bis in den letzten Winkel der Hauptkammer getragen wurden.
Tomrin verstand kein Wort. „Was sagt er?“, fragte er Bruder Barthian leise.
Der Priester beugte sich zu ihm herüber. „Das ist Qwrll’Xikik, der Zeremonienmeister. Er heißt alle Gäste willkommen und stimmt sie auf diesen bedeutenden Moment ein.“ Er senkte die Stimme noch ein wenig und schaute auch Hanissa an. „Ihr müsst wissen, dass der Königinnenwechsel für die Xix eine ganz besondere Zeremonie ist. Wie Hanissa schon richtig gesagt hat, ist die Königin die ruhende Mitte ihres ganzen Volkes, weil sie die Königliche Aura in sich trägt. Diese Aura ist beinahe etwas Magisches. Am besten kann man sie sich vielleicht als Seele vorstellen, die aber nicht nur einer Person gehört, sondern von allen Xix geteilt wird. Es ist eine gewaltige Seele, die einzig eine Xix tragen kann, die ihr Leben lang darauf vorbereitet wurde.“
Qwrll’Xikik endete, und ohrenbetäubendes Klacken setzte ein, das die Xix mit ihren Mandibeln erzeugten und das einem menschlichen Applaus gleichkam. Ein anderer Xix nahm seinen Platz ein und fing an zu reden.
„Das ist der Oberste Heiler der Xix“, erklärte Bruder Barthian mit einem Kopfnicken. „Er ermahnt die Xix, nie zu vergessen, was sie waren, um immer das zu bleiben, was sie sind.“
„Was bedeutet das?“, wollte Hanissa wissen.
Der Priester zuckte mit den Schultern. „Ich gestehe, das weiß ich auch nicht. Über die Herkunft der Xix ist kaum etwas bekannt. Sie kamen, wie ihr ja wisst, vor sechzig Jahren nach Bondingor und baten, sich hier ansiedeln zu dürfen. Da ihre Heilkunst unübertroffen ist, erlaubte Baron Beruns Großvater es ihnen gern. Seitdem leben wir als friedvolle Nachbarn Seite an Seite. Aber kaum jemand hat sich die Mühe gemacht, sie wirklich kennenzulernen.“
„Was ist mit Euch?“, hakte Hanissa nach. „Ihr scheint doch einiges über die Xix zu wissen.“
„Ich habe versucht, in meiner Freizeit mehr über sie zu erfahren“, gestand Bruder Barthian. „Ich interessiere mich sehr für fremde Kulturen. Leider habe ich als Priester der Stadtgarde wenig Zeit für solche Studien.“
Nach dem Obersten Heiler trat ein dritter Xix vor, dann ein vierter. Anschließend erhob sich Baron Berun von Bondingor, um die Königin zu preisen und die guten Beziehungen zwischen den Menschen und den Xix zu betonen. Ein Zwergenältester und ein Elfengesandter taten es ihm gleich.
Tomrin begann, unruhig auf seinem Platz herumzurutschen. Gestern hatte ihn der Gedanke, an dieser Krönungszeremonie teilnehmen zu dürfen, noch begeistert. Aber langsam fragte er sich, ob Sando nicht doch recht damit gehabt hatte, in der Drachengasse zu bleiben. Wahrscheinlich
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