Drachengold: Roman (German Edition)
vor Angst wie von Sinnen. Es hatte so wild um sich getreten, dass es mit einem Huf durch den Laufsteg gebrochen war, wobei es sich das eigene Fleisch tief an dem Holz aufgerissen hatte. Selbst ein flüchtiger Blick verriet Laurence, dass es keine Hoffnung mehr gab. Das Blut schoss heraus, und der weiße Knochen war von der Fessel bis zum Gelenk zu sehen.
Der Mann, der die Zügel hielt, hatte das Gleiche gesehen; er zog seine Pistole aus dem Halfter, warf Laurence einen raschen, unglücklichen Blick zu und sah, dass Laurence ihm zunickte, anstatt ihn aufzuhalten, wie er gehofft haben mochte. So setzte er dem Tier die Waffe an den Kopf und erlöste es von seinem Leiden. »Temeraire«, rief Laurence hinunter, »kommst du an das tote Pferd heran?«
»Ich fürchte, das ist nicht so leicht«, antwortete Temeraire und reckte seinen Hals, »aber ich hatte heute Morgen auch schon ein Lama.« Dann rief er: »Kulingile, willst du das Pferd haben?« Die anderen Drachen hockten in einiger Entfernung dort, wo sie Platz in der Schlucht hatten finden können, auf dem nackten Gestein. »Arrêtez, arrêtez!«, schrie der Mann, der das Pferd geführt hatte, und deutete auf den Bauch des toten Tieres. Erst jetzt sah Laurence den stark gerundeten Bauch: Die Stute war trächtig gewesen. Unter ihren Blicken stieß ein winziger Huf wie im Protest von innen gegen die Bauchdecke.
»Was zum Teufel will er denn tun – will er es herausschneiden, während wir hier alle in der Luft baumeln und jeden Augenblick abstürzen können?«, fragte Ferris. Er war wieder an Laurence’ Seite geklettert, während die Brücke noch immer unter ihnen hin und her schwang wie ein Schleier im Wind.
Kulingile stieß sich von der Wand der Schlucht ab und kam herbeigeflogen, griff sich, ohne abzubremsen, mit einer seiner riesigen Klauen das Pferd und legte es in einem Rutsch auf der anderen Seite der Brücke ab. Demane rutschte von Kulingiles Schulter und war sofort bei dem Kadaver. Ohne zu zögern holte er sein Messer heraus, um dem toten Tier den Bauch aufzuschlitzen. Der Mann, der es geführt hatte, beobachtete Demane lange genug, um überzeugt zu sein, dass dieser wusste, was er da tat, dann drehte er sich wieder zurück, um sich um die restlichen Pferde zu kümmern. Mit seiner Hilfe, unterstützt von noch einem dritten Pferdeburschen, brachten sie die Tiere schließlich auf die schützende Seite, während in der Zwischenzeit der Lamazug und die dazugehörigen Hirten auf der anderen Seite der Schlucht angelangt waren.
Das kleine Fohlen war aus dem Körper des Muttertieres befreit worden und stakste auf wackeligen Beinen umher. Einer der Pferdeführer hatte es mit sanften Strichen abgerieben. »Womit will er es füttern?«, fragte Demane stirnrunzelnd, aber das dritte Tier, auch eine Stute, war ebenfalls trächtig und ähnlich weit fortgeschritten. Zwar schien das Tier völlig verblüfft, als es plötzlich ein Fohlen untergeschoben bekam, bevor es eines zur Welt gebracht hatte, aber es wehrte sich nicht, und nach kurzer Zeit saugte das kleine Jungtier energisch genug, um Anlass zur Hoffnung auf sein Überleben zu geben.
»Mille fois merci«, sagte der Pferdebursche, der das trinkende Fohlen mit dem fremden Muttertier allein gelassen hatte, herübergekommen war, Laurence’ Hand ergriffen hatte und sie kräftig schüttelte.
»De rien«, antwortete Laurence mit einer höflichen Verbeugung, und erst in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass sie Französisch sprachen und seine Hand nun blutverschmiert war. Auch dem anderen Mann schien das aufzufallen, denn beschämt ließ er Laurence’ Hand wieder los.
Sie schlugen ihr Nachtlager nur ein kurzes Stück von der Stelle entfernt auf, an der sie die Männer gerettet hatten. Als Iskierka gelandet war, sagte Granby: »Willst du mir erzählen, dass wir gerade alle unseren Hals riskiert haben, um einen französischen Lastzug zu retten?«
»Ja«, antwortete Laurence. »Sie sind über Land auf dem Weg nach Cusco, um dort De Guignes zu treffen: Er und seine Botschafter sind vermutlich schon eingetroffen.«
»Und wir haben eine ganze Karawane mit Geschenken für den Sapa Inka gerettet, nehme ich an«, sagte Hammond. »Diese Pferde sind der Grundstock für eine Zucht.«
Er klang halb vorwurfsvoll, als wolle er Laurence daraus einen Strick drehen, dass man die Franzosen und ihr Hab und Gut gerettet habe. »Wir dagegen sehen kaum besser aus als Bettler.«
»Da wir nichts zu geben haben, Sir«, erwiderte Laurence,
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