Drachengold: Roman (German Edition)
panischen Furcht erfüllt, dass die Biester sie jeden Augenblick anfallen könnten. Natürlich käme das für die Seeschlangen überhaupt nicht in Betracht, denn sie waren viel zu fett und zu satt; wenn sie Hunger bekämen, bräuchten sie außerdem nur in den Hafen zurückzuschwimmen. Aber die Matrosen ließen sich nicht davon überzeugen und sahen die Drachen als ihre einzige Verteidigungswaffe an. Wann immer Temeraire ein kleines Nickerchen einlegen wollte, achteten die Matrosen ganz gezielt darauf, oben in den Segeln für Lärm zu sorgen, oder sie ließen versehentlich eine Kanonenkugel übers Deck rollen oder aus den Rahen ein Tau auf Temeraire hinabfallen.
»Irgendwann werde ich tatsächlich noch mal zu einer Gefahr für sie werden«, knurrte Temeraire missmutig, als sich in einem vorgetäuschten »Unfall« ein ganzer Kübel voll Schmutzwasser über seinen Nacken ergoss, nachdem eine der Schlangen, die ihnen noch immer im Kielwasser folgten, in einem geschmeidigen, ausladenden, glitzernden Bogen aus den Wellen emporgeschnellt war. Offenkundig wollten die Matrosen mit allen Mitteln sichergehen, dass Temeraire wachsam blieb.
Roland schien inzwischen wohl anderweitig zu wichtig geworden zu sein, um ihn gründlich zu waschen; stattdessen wurde Sipho mit der Aufgabe betraut. Bei ihm war ein kleiner Bursche namens Gerry: ein Überbleibsel aus der Ehe zwischen einem Offizier des Neusüdwaleskorps und seiner Frau, die beide von irgendeinem Fieber dahingerafft worden waren. Sie hatten diesen Knaben zurückgelassen, der noch nicht einmal acht Jahre alt war und in einem Umkreis von zweitausend Meilen keinerlei Familie mehr hatte. Mrs MacArthur hatte Laurence nicht nur Mrs Pemberton vermittelt, sondern auch Gerry aufgeschwatzt. »Das war der Preis für ihren Rat«, seufzte Laurence, Temeraire aber fand den Jungen weitaus nützlicher als die alte Dame. Seine kleinen Finger waren genau richtig, um ihn unter den Schuppen abzuputzen, wo das Wischwasser unangenehmerweise hingelaufen war.
Allerdings weinte der Junge, als man ihn auf das Drachendeck brachte, wie es zu erwarten gewesen war, aber Roland beschimpfte ihn ob seiner Dummheit. »Ich hätte einiges dafür gegeben, zwei Jahre früher als Läufer anfangen zu können, anstatt einfach nur in die Schule gesteckt zu werden. Was fällt dir denn ein, wie ein Kleinkind herumzuheulen? Niemand wird jemals zu der Überzeugung gelangen, dass du einen eigenen Drachen verdienst, wenn du deine Chancen nicht angemessen nutzt«, polterte sie.
Gerry schniefte und erwiderte: »Ich will überhaupt keinen eigenen Drachen«, was Temeraire für eine sehr begrüßenswerte Einstellung hielt. Vielleicht würde er endlich wieder einmal jemanden in der Mannschaft haben, der nicht sofort auf einen anderen Drachen abwandern würde, kaum dass er und Laurence ihn ordentlich ausgebildet hatten.
»Dann bist du ein großer Schwachkopf«, sagte Roland. »Wer will denn keinen eigenen Drachen haben, mit dem man fliegen und seine Pflicht England gegenüber erfüllen kann? Du bist doch der Sohn eines Soldaten, du solltest dich was schämen!«
Da Gerrys Vater ein eifriger Kämpfer in MacArthurs Rebellion gewesen war, mochte die Hingabe dieses Gentlemans an sein Vaterland zwar zweifelhaft sein, aber immerhin lenkte das Argument den Jungen endlich von seinen Tränen ab. »Ich bin gar kein Schwachkopf«, schniefte er verdrießlich und lief Sipho aufs Drachendeck hinterher. Als sie damit fertig waren, Temeraire zu säubern, hatte Gerry sich bereits so weit mit seiner neuen Situation angefreundet, dass er zum Abschluss übermütig an Temeraires Flanke hinabrutschte.
Niemand goss Wischwasser über Iskierka aus, die zusammengerollt vorne auf dem Drachendeck lag und im Schlaf zischte und Dampf ausstieß. Temeraire beobachtete sie mit tiefer Missbilligung. Kulingile hingegen machte sich nützlich und fing Fische. Zwar fraß er einen Großteil seines Fangs stets selbst, aber das hielt ihn immerhin davon ab, während der Abendbrotzeit alles in Sichtweite Vertilgbare aufzufuttern, um dann sehnsüchtig die Portionen der anderen zu beäugen, wenn diese ihr Mahl nicht schnell genug verspeist hatten.
»Du musst das Schiff nicht immer so zum Schaukeln bringen, wenn du landest«, beklagte sich Iskierka ein ums andere Mal, wenn Kulingile wieder landete und sich die Lefzen leckte.
»Und du musst dich nicht immer über andere aufregen, die nicht so nutzlos und faul herumliegen«, sagte Temeraire. »Das ist sehr nett von dir,
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