Drachengold: Roman (German Edition)
mehr?«, fragte Kulingile, ließ sich etwas tiefer sinken und umkreiste Temeraire, während er die Seehechte mit ausgesuchtem Interesse betrachtete. Er hatte an diesem Nachmittag bereits eine Kuh, zwei Seelöwen und einen ganzen Topf Reissuppe verputzt, den Gong Su eigentlich für alle drei Drachen und den Rest der Brühe für ihre Mannschaften vorgesehen hatte.
Temeraire deutete auf einen kleinen Schwarm, der nicht groß genug war, um irgendwelche Anstrengungen zu rechtfertigen. Kulingile stieg trotzdem wieder höher, um die Fische von weiter oben in Augenschein zu nehmen, dann schoss er mit einem Mal hinab und stieß sein weit aufgerissenes Maul für einen äußerst ergiebigen Happen ins Wasser: Dutzende aufgeschreckte Fische flutschten ihm schwanzflossenschlagend aus dem Maul, als er sich wieder in die Lüfte schraubte, aber es blieben auch genügend von ihnen zwischen seinen Zähnen hängen, und sehr zufrieden zerkaute er sie knirschend, während ihm zu beiden Seiten Seegras von den Lefzen baumelte.
Es war so angenehm, sich anschließend satt, zufrieden und ohne Ketten auf dem Deck auszustrecken. Unter ihnen brannten die Feuer der Kombüse und sorgten für Wärme, aber von Zeit zu Zeit brandeten noch immer hohe Wellen auf und überzogen die Drachen mit kalter Gischt. Temeraire stellte einen Flügel so auf, dass er das schlimmste Sprühwasser abschirmen konnte, und krümmte sein Vorderbein, sodass Laurence in der Mitte bequem Platz fand und ihm etwas vorlesen konnte.
»Ich bin mir ganz sicher, dass es nicht an dieser Stelle abbricht …«, bemerkte Temeraire mit fragendem Unterton, als Laurence in der Mitte des Gedichtes eine zu lange Pause einlegte. Als Laurence daraufhin nicht fortfuhr, spähte Temeraire hinunter und sah, dass sein Kapitän mit zurückgelegtem Kopf an seine Kralle gelehnt eingeschlafen war und das aufgeschlagene Buch auf seinem Schoß völlig vergessen hatte.
Temeraire seufzte leise und sah sich um, aber auch Sipho schlummerte und kuschelte sich unter einem Stückchen Persenning an Kulingiles Flanke, Demane neben sich. Selbst Roland, die vielleicht noch eine genügende Anzahl der Schriftzeichen würde enträtseln können, um ihm weiter vorzulesen, war über ihren Mathematikaufgaben eingenickt.
Kulingile seufzte ebenfalls. »Ich will nicht mehr schlafen.«
»Und ich auch nicht«, fiel Iskierka ein, doch nicht einmal diese Ankündigung riss Granby aus dem Schlaf, der in seinem prächtigen Mantel aus Brokatstoff vor seinem Drachen lag und seinen Kopf auf ein zusammengerolltes Tau gebettet hatte. »Ich bin mir zwar sicher, dass es hier in der Nähe keine Schiffe gibt, die aufzubringen sich lohnt, aber wir können ja trotzdem nach welchen Ausschau halten.«
Temeraire konnte an diesem Vorhaben keinen Haken entdecken; hin und wieder hatte sogar Iskierka gute Einfälle. »Wir müssen nur einen Treffpunkt vereinbaren«, sagte er und hielt nach dem Navigator, Mr Smythe, Ausschau, der ihnen würde sagen können, wohin das Schiff steuerte, und ihnen all die übrigen Dinge mitteilen würde, nach denen sich Laurence immer erkundigte, wenn er und Temeraire sich weit vom Schiff zu entfernen gedachten. Temeraire war sich nicht ganz sicher, wie ihnen diese Informationen dabei helfen sollten, den Rückweg zu finden. Aber vielleicht konnte Mr Smythe sie mit den nötigen Erklärungen versorgen, sodass es keine Veranlassung gab, Laurence zu wecken. Es gab eigentlich wirklich überhaupt keinen Grund, Laurence aus dem Schlaf zu reißen. Nicht, dass Temeraire glaubte, Laurence würde irgendwelche Einwände haben; aber sein Kapitän hielt häufig nur wenig davon, hinter Prisen herzujagen, selbst wenn es ganz offenkundig nichts Besseres zu tun gab, jedenfalls nichts deutlich Besseres.
Doch auch Smythe war nicht an Deck; nur Lord Purbeck war zu sehen, neben ihm Leutnant George am Steuerrad, dessen Kopf leicht in den Nacken gekippt war, ehe er sich plötzlich mit einem Ruck wieder aufrichtete und einige Male heftig blinzelte, während seine blauen Augen tränten.
»Ich will nicht mehr länger warten; wir können das Schiff auch einfach so wiederfinden«, sagte Iskierka. »Es ist doch wohl klar, dass wir einfach nur den gleichen Weg zurückfliegen müssen, den wir ursprünglich genommen haben, und von da aus der Route folgen, die das Schiff zurückgelegt hat. Daran kann ich mich auch ohne irgendwelche Berechnungen erinnern.«
»Das glaube ich kaum«, sagte Temeraire, »denn auf dem offenen Meer kann man seine
Weitere Kostenlose Bücher