Drachengold: Roman (German Edition)
Position nicht an einem Baum oder einem Gebäude oder etwas in der Art festmachen; es wäre schön dumm von uns, wenn wir uns verirren würden und Stunden damit zubringen müssten, das Schiff wiederzufinden.«
»Vielleicht sollten wir lieber nicht aufbrechen«, sagte Kulingile. »Ich glaube, sie kochen irgendwas für uns: Es riecht so lecker.«
Es wehte tatsächlich ein köstlicher Duft nach Gebratenem zu ihnen herauf. Offenbar röstete irgendwo unter Deck jemand Fleisch über einem offenen Feuer, und Temeraire sog den Duft genussvoll ein. Im Augenblick war er nicht hungrig, und er hätte Laurence auch nicht um mehr Essen gebeten, wo er doch wusste, dass das Vieh eingeteilt werden musste für den Fall, dass sie mal kein Glück beim Fischen hatten. Aber niemand würde einen Leckerbissen wie gebratenes Rindfleisch verschmähen. Wenn nur Gong Su nicht auf die Idee käme, alles für einen Eintopf klein zu schneiden.
»Ich will den Kopf!«, forderte Iskierka und schob ihr eigenes Haupt über ein Geländer, um in die vordere Luke hinunterspähen zu können. »Ich habe schon seit Ewigkeiten keinen gebratenen Rinderkopf mehr bekommen, und ihr beide wart die ganze Zeit an Land.«
»Es ist ja nicht so, dass es in der Kolonie jede Menge Vieh gegeben hätte, von dem wir uns jederzeit hätten frei bedienen können«, sagte Temeraire. »Und überhaupt sind wir ja ebenfalls schon seit Wochen auf dem Meer unterwegs. Ich hätte auch nichts gegen Hirn und Innereien von einem Rind einzuwenden.«
»Ich will eine Schulter«, seufzte Kulingile und fügte ängstlich hinzu: »wenn das Fleisch nicht zu sehr durch ist«, denn der Rauch wurde inzwischen ziemlich dicht.
Laurence wachte mit einem Ruck auf und erhob sich; das Buch fiel trotz Temeraires Protest von seinem Schoß. »Was treiben die denn da unten?«, fragte er, legte seine Hände wie einen Trichter um den Mund und schrie: »Feuer!«
Laurence packte Granby an der Schulter und rüttelte ihn wach; gemeinsam kletterten sie in Windeseile die Strickleiter in der vorderen Luke hinunter und verschwanden im Bauch des Schiffes. Um sie herum stieg noch mehr Qualm auf und kroch grau und beißend durch die Ritzen an Deck. Männer drängten an ihnen vorbei, um den Schwaden zu entkommen. Sie hatten blutunterlaufene Augen und rote Gesichter, und Rum dünstete nicht nur aus all ihren Poren, sondern brachte sie auch dazu, breit zu grinsen und zu kichern, obwohl sie sich in großer Gefahr befanden. Grimmig reimte sich Laurence zusammen, dass sie den Raum aufgebrochen hatten, in dem der Rum aufbewahrt wurde. Dort waren sie auf genug unverdünnten Alkohol gestoßen, um sechs Monate lang für siebenhundert Männer die Tagesration Grog herzustellen, und all die Untätigen und Herumlungernden auf diesem Schiff hatten sich in Grund und Boden gesoffen, während jeder Offizier und fähige Seemann in den tiefen Schlaf der Erschöpfung gefallen war.
Der Boden der Kombüse war schlüpfrig von Blut, denn in ihrer Trunkenheit hatten die Männer angefangen, das Vieh zu schlachten: Zwei tote Kühe brutzelten in Stücken über offenem Feuer, wo das Fleisch längst schwarz geworden war. Die Flammen hatten auf die Tische übergegriffen und kletterten an den Tauen empor. »Zu den Pumpstationen«, brüllte Laurence und griff sich wahllos einen Mann aus dem Gedränge heraus. Es war Yarrow, einer der tatkräftigeren Seeleute, aus Cheltenham stammend; für gewöhnlich war er kein unzuverlässiger Bursche, aber ganz offenbar war auch er der Versuchung erlegen gewesen und hatte dem Alkohol kräftig zugesprochen. Sein Gesicht war voller Rußflecken, und aus seinen Augen schien die ewige Verdammnis zu leuchten, denn der Widerschein des Feuers flackerte in ihnen.
»Auf Ihre Station«, schrie Laurence ihn an, aber auf dessen Gesicht zeigte sich keinerlei Begreifen; Yarrow wand sich lediglich aus Laurence’ Griff und tauchte wieder in der Masse der Männer unter, die allesamt vom Alkohol und vor Angst wie von Sinnen waren.
Granby hatte sich seine Ledergamaschen übergezogen und stieß mit kräftigen Tritten große Kessel mit eingepökeltem Schweinefleisch um, im Bestreben, die Herdfeuer zu ersticken. Männer kreischten auf, als sich kochendes Wasser und Fett über die qualmenden Planken und ihre nackten Füße ergoss. Die Feuer erloschen, aber ein Mann brüllte vor Schmerz und rannte blindlings gegen einen brennenden Tisch. Als er sich davon wieder abstieß und sich unter die anderen Männer mischte, hatte seine
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