Drachenkaiser
trösten.
Silena erhob sich und musste sich am Türrahmen abstützen. Ihrem Kreislauf schien es Spaß zu machen, ihr erst funkelnde Sternchen und danach ein Flimmern vor den Augen zu bescheren.
»Ich hole Wasser für ihn.« Wachholder eilte in seine Wohnung, der zweite Skyguard legte das Gewehr weg und kümmerte sich um den Niedergeschlagenen.
Silena blickte aus dem von Reif gekränzten Fenster. Auf der Straße hetzte eine Gestalt in einem schwarzen Mantel davon. Sekunden danach röhrte ein Automobil durch die Nacht. Ich hoffe nicht, dass die Nachhilfestunde in ägyptischer Mythologie denen etwas an die Hand gegeben hat, was ihnen einen Vorteil vor mir verschafft. Sie lehnte die Stirn ans Glas, die Eisblumen schmolzen von der Wärme. Denk nach! Es geht um Grigorij!
Sie musste nach München, auch wenn ihre Gefühle und ihre Ängste sie zwingen wollten, jeden Stein in Oranienbaum umzuwenden und nach ihrem Gemahl zu suchen. Sie verbot sich das sinnlose Tun. Es würde nichts bringen. Der beste Anhaltspunkt, so sagte sie sich, war das Armband. Im Keller des Officium Draconis lagerte das Wissen, das sie benötigte: Aufzeichnungen über Aufzeichnungen über die Drachen und deren Belange.
Schon wieder würde sie an die Stätte zurückkehren, an der sie jahrelang gedient hatte. Nur durfte es dieses Mal keiner wissen. Sie müsste sich in die baufälligen Überreste des Officiums schleichen, was nicht gerade leicht und dazu auch gefährlich werden würde. Bei ihrem Glück würden sicher die Mauern einbrechen, sobald sie sich zwischen ihnen befand.
Zuerst muss ich noch Kontakt zu Leida herstellen und ihr von meinem Vorhaben berichten. Sie zog den Kopf zurück und sah nach den Männern, die den Ohnmächtigen mit einem nassen, kalten Tuch im Gesicht aus seinen Träumen rissen.
Wie konnte ich das nur vergessen? Brieucs Vorschlag! Sie lächelte. Die verlorene Tochter des Officiums wird in den Zeiten höchster Not zurückkehren. Damit erspare ich mir viel Ärger. Niemand würde ihr den Zutritt verwehren. Die ganze Heimlichtuerei konnte sie sich damit sparen.
IX.
3. Januar 1927, Freie Hansestadt Hamburg, Deutsches Kaiserreich
Nie-Lung hatte schon kein gutes Gefühl gehabt, als er in seinem falschen Gefängnis gelegen und den Schlussapplaus sowie das Gejohle aus dem Pagodenzelt vernommen hatte.
Man sollte meinen, dass sie mit ihrer halbwegs vorhandenen Intelligenz andere Formen der Begeisterungsbekundung ersinnen könnten. Aber nein, sie benehmen sich wie die Affen, von denen sie abstammen. Er war unglaublich enerviert. Jeder Ton, den die Menschen produzierten, strapazierte sein Gemüt. Am liebsten wäre er frei, nein, am allerliebsten würde er tötend durch die blökende Meute im Zelt ziehen und die Herrschaft der Drachen einläuten – was ihm jedoch nicht zustand. Der Abend bringt Ungutes.
Es dauerte nicht lange, und das bekannte und verhasste Trampeln der Stiefel und Schuhe näherte sich ihm. Wu Lis Traumkugeln hatten die Menschen einmal mehr in ihren Bann geschlagen und sie zum Staunen gebracht, jetzt wollten sie den grausamen, gebrochenen Drachen vor ihren kleinen, dummen Äuglein sehen.
Am besten, ich schaue wieder nicht hin. Hässliche Dinge sollte man meiden. Er rollte sich im Käfig auf die Seite, richtete den Kopf zur Wand hin und schnaubte lange.
Der Drache ärgerte sich außerdem wegen des misslungenen Attentats auf Ddraig. Sie hatte ihn beinahe mit ihrem blauen Feuer getroffen, und selbst seine goldenen Schuppen hätten ihn dann vor schlimmen Verbrennungen nicht beschützt. Aber ihr Liebchen habe ich getötet. Bedauerlich, dass ich ihn nicht gänzlich vertilgen konnte. Er schmeckte köstlich. Das rührt von der anderen Ernährung her.
Nie-Lung hoffte, dass die brunftige Drachin durch ihren Zustand und ihre Wut reichlich Fehler beging, die er ausnutzen konnte. Noch schuldete er Vouivre den Kopf der Herrscherin von Wales. Er selbst würde niemals mit dem Franzosen paktieren, aber sein Herr hatte es ihm aufgetragen.
In drei Tagen sollten wir endlich aus Hamburg aufbrechen. Es muss noch ein weiteres Bündnis vertieft und eine wichtige Sache besprochen werden.
Der Eingang wurde geöffnet, wie er hörte, und die ersten Mutigen betraten den Raum. Wie immer waren es die Kinder, die ihn sehen wollten und ihre Eltern hineinzerrten. Und wie immer würden es die Kinder sein, die als Erste hinauswollten.
Das Gemurmel und die Laute des Staunens nahmen zu, immer mehr Menschen drängten sich vor den
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