Drachenkaiser
könnte, von dem ich einmal meinen Enkeln berichten kann.«
Die Zeit wird knapp. Ich kann jede Hilfe brauchen. Silena nickte. »Na, gut.« Sie legte das Armband in die Mitte, sodass er es sah. »Es gehörte einem guten Freund, der sich auf dem abgestürzten Luftschiff meines Gatten befand. Ich sollte es mitnehmen und übersetzen lassen«, log sie.
Wachholder grinste und setzte sich. »Ich glaube Ihnen kein Wort. Die Wahrheit höre ich sowieso nicht, also was soll’s?« Er nahm sich ein Buch und begann das Stöbern.
In der Bibliothek war es sehr leise. Der Wind säuselte gelegentlich durch undichte Stellen, mal fuhr ein Wagen draußen vorbei oder ein schellengeziertes Gespann; ansonsten erklang das Rascheln der Seiten, ein gelegentliches Räuspern oder ein Schlürfen, wenn der Tee aus dem Samowar zu heiß war. Der eine der Skyguards hatte es sich neben dem Fenster bequem gemacht und behielt die Straße im Auge, der andere wachte an der Eingangstür weit von ihnen entfernt.
Silena bemerkte nicht, wie die Minuten verflogen. Als sie irgendwann nach dem zweiten Buch mit Nackenschmerzen aufblickte, sah sie, dass Wachholder schon drei Bücher durchgearbeitet hatte und beim letzten angelangt war. Auf dem Schmierzettel neben ihm standen Notizen. Hoffentlich ist er so gründlich, wie er schnell ist. »Was gefunden?«
»Ja«, entgegnete er abwesend und schrieb wieder etwas auf. Er drehte das Werk so, dass sie beide hineinschauten.
Silena erkannte eine Zeichnung von einer Landschaft mit verschiedenen Tieren darauf, darunter waren Zeichnungen von ägyptischen Schriftzeichen zu sehen. »Wo ist der Zusammenhang?«
Wachholder zeigte auf ein einfaches Symbol auf dem Armband, dann auf das zweite Bild. »Treffer!«
Silena atmete auf und unterdrückte ein Gähnen. »Haben Sie auch herausgefunden, was es bedeuten soll?«
»Ja, habe ich. Wenn man das übersetzen würde, käme so etwas wie Aufspürer heraus. Im Griechischen heißt das Tierchen Ichneumon, die Franzosen nennen es rat des pharaones: Pharaonenratte.« Wachholder kratzte sich am blonden Schopf. »Die Inder würden das Viech Mungo nennen. Es wird heilig genannt.«
Jetzt war Silena verwundert. »Aha?! Warum heilig?«
Der Bibliothekar suchte in dem Abschnitt nach der Erklärung. »Der Ichneumon findet sich auf Fresken und Reliefs, sowohl in der Zeit der Ptolemäer als auch aus dem Alten Reich. Und verehrt wurde er wegen seines Könnens als Schlangenbekämpfer.« Er blätterte. »Mh.«
Silena sah auf ihre eigenen Aufzeichnungen. »Passen da irgendwo Horus und Apophis hinein? Das habe ich nämlich bei meinen Hieroglyphen gefunden.«
Wachholder nickte und schaute rasch auf sein Blatt. »In dem Buch über Archäologie habe ich gelesen, dass im Grab von Ramses dem Sechsten ein schwarzes Ichneumon gefunden und mit dem Horus von Letopolis gleichgesetzt wurde – was immer es bedeuten mag. Und ich fand irgendwo noch ein Symbol auf dem Armband, das als Uto zu deuten ist.« Er sah sie hilflos an. »Bringt Ihnen das etwas?«
»Klingt, als sollten wir uns mit ägyptischer Sage befassen.« Silena sah ihn bittend an.
»Schon unterwegs.« Er stand auf und verschwand in den Regalwelten der Bibliothek.
Sie lehnte sich nach hinten und spürte das beginnende Sodbrennen. Rasch trank sie Tee, das Brennen ließ nach. »Und bringen Sie bitte noch etwas Brot mit?« Es war ihr ein wenig peinlich, dass sie so verfressen wirkte.
Erklären konnte sie sich ihren Fund noch nicht, trotz der ersten Erkenntnisse. Grigorij besaß kein solches Armband. Jemand Unbekanntes hatte den Absturz beobachtet und nichts unternommen. Gehörte er womöglich zu denjenigen, die ihre Raketen abgefeuert hatten? Drachenfreunde würden kein Armband mit einem Schlangenfeind darauf anlegen. Sie trugen eher asiatische Zeichen mit sich, um ihre Verehrung für die Ungeheuer zu zeigen. Wer also?
Wachholder kehrte mit Brot und weiteren Büchern zurück. »Hier, frisch aus dem Ofen«, er warf den warmen Laib auf den Tisch, »und frisch aus der Sagen- und Mythenabteilung der Bücherspende.« Laut knallten die Bücher auf die Platte, Staub wirbelte auf. Er wirkte kein bisschen müde, zog ein Messer aus dem Hausmantel und schnitt das Brot an. »Essen Sie, Gaspascha Zadornova. Ich suche schon«, sagte er zuvorkommend.
»Danke.« Silena blickte auf die Taschenuhr. Weit nach Mitternacht. Sie nahm sich eine dicke Scheibe, aß und sah dem Mann beim Arbeiten zu. Ihre Gedanken schweiften zu Leida. Sie hoffte, dass der Zeppelin
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