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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Fahrzeugkolonne näherte sich dem landschaftlich berauschenden Khyberpass. Dahinter lag Afghanistan, mein Traum! Jetzt endlich würde er Wirklichkeit werden! Doch dort stellten die Grenzer fest, das ich zwar Pass und Visum hatte, nicht aber die ausdrückliche Genehmigung, den Khyber zu befahren.
    »Mann, aber auch! Dadgul! Hättest du mir das nicht vorher sagen können!«
    »Nee, Mama! Hier ändern sich die Vorschriften ja dauernd!«
    »Glaub ja nicht, ich fahr jetzt wieder nach Hause! Wo gibt’s diese Scheiß-Genehmigung?«
    So langsam wurde ich ungeduldig.
    »In Peshawar. Büro für auswärtige Angelegenheiten.«
    Wir also wieder nach Peshawar, mitsamt Eskorte, ins Büro, dort schnell um die Bescheinigung gebettelt (was mit einem Dutzend schwer bewaffneter Taliban relativ leicht war.) Dann wieder hoch zum Khyber. Zum zweiten Mal diese endlosen, halsbrecherischen Serpentinen, immer den Abgrund vor Augen, dazu dieses Gerumpel durch Schlaglöcher, der entsetzliche Gestank nach Diesel und dem Schweiß meiner Mitreisenden, das Bremsen und Gasgeben. Mir war so schlecht! Immer wieder mussten wir anhalten, weil die ehrwürdige Mutter eine Runde kotzen musste!
    Wegen der Verzögerung und des plötzlichen Einbruchs der Dunkelheit landeten wir wieder in Djalalabad, beim Bürgermeister und den zudringlichen Frauen.
    »O NEIN , jetzt nicht auch das noch! Dadgul, sag ihnen, noch mal mache ich diesen Scheiß nicht mit! Ich will meine Ruhe haben!«
    Dadgul sagte es ihnen. Wie ein nasser Sack ließ ich mich auf die Bettstatt fallen. Man sah mir meine Erschöpfung vermutlich zehn Meter gegen den Wind an, denn sie ließen mich in Ruhe.
    Na bitte! Wer sagt denn, dass Afghanendamen nicht lernfähig sind?!
    Am nächsten Morgen klappte es dann mit dem Flug! Hurra! Djalalabad–Mazar-i-Sharif! Das war doch schon mal was! Ich hatte keine Ahnung, wo wir jetzt wieder hinflogen, aber es brachte mich Katachel näher, wie Dadgul mir glaubhaft versicherte!
    Klappsitze wie im Trabi, und statt einer Toilette gab es einen Eimer für shahshah (was lautmalerisch alles heißen konnte, in diesem Falle aber pinkeln). Aber ich spannte tapfer den Beckenboden an und musste nicht. Ein Gutes hatte meine Kotzerei von gestern: In mir war nichts mehr.
    Ein Geländewagen Marke Pajero, gemietet aus Kunduz, stand bei der Ankunft bereit, und damit ging es jetzt weiter. Ich hatte Dadgul, und wo Dadgul war, war die Welt in Ordnung. So glaubte ich jedenfalls. Wir stiegen ein. Alle paar Kilometer kontrollierten uns die Taliban, aber es gab kein böses Wort und keinen bösen Blick. Im Gegenteil. Sie waren höflich und freundlich. Ob sich schon herumgesprochen hatte, dass ich Nekmal in mein Haus in Bergfeld aufgenommen und ihm Apfelkuchen gebacken hatte? Keine Ahnung. Sie winkten uns freundlich lächelnd durch, die schwarzen Männer mit den schwarzen Bärten und den schwarzen Maschinengewehren, so als wäre ich ihre lang vermisste Schwester oder Tante oder so.
    Unsere Strecke führte über Pul-i-Kumi und Aliabad nach Kunduz. Das klingt jetzt so harmlos wie »Wir fuhren über Bad Oeynhausen und Rinteln zum Kamener Kreuz«, aber so war es leider nicht: Ich musste mich wieder andauernd übergeben.
    »Da vorne ist schon Kunduz«, versuchte Dadgul mich aufzumuntern, was nicht ganz stimmte, denn wir rumpelten noch acht weitere Stunden über kurvige Serpentinen durch die steinige Einöde. Irgendwann war ich der Ohnmacht nahe. Ich legte meinen Kopf in Dadguls Schoß und versuchte ein bisschen zu schlafen. Dadgul streichelte unbeholfen meinen Kopf, und irgendwann erwachte ich wieder aus meinem Koma, als er sagte: »Aufwachen, Mama! Wir sind da!«
    »Wo?«
    Verwirrt hob ich den Kopf und starrte in die Dunkelheit.
    »Katachel! Wir sind in Katachel!«
    Das klang wie Musik in meinen Ohren. Mein Traum hatte sich erfüllt! Nach sieben Jahren, in denen ich mein letztes Hemd gegeben hatte (ich tapferes Schneiderlein!), jede freie Minute, alle meine Energiereserven in Katachel, in Dadguls Heimatdorf investiert hatte, war ich vor Ort. Schwankend zwar und leise rülpsend, aber ICH HATTE ES GESCHAFFT !!!
    »Dadgul, könntest du mich bitte einfach nur noch ins Bett bringen? Mir geht es wirklich nicht so gut …«
    Dadgul wehrte die ein Indianergeheul von sich gebende Weibermeute wie ein wahrer Kommandante ab, brachte mich in »mein Zimmer« (irgendein Verschlag, der mir zu Ehren mit dunkelroten blümchengemusterten Tüchern verhangen worden war), in mein dunkelrotes Blümchenmustertuchbett

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