Drachenkinder
Wasserpfeife und scheuchte mich aufgeregte Mutti aus seinem Büro: »Da müssen Sie mit General Farid persönlich sprechen, in Kunduz!«
Na, toll. Da kamen wir doch gerade her! Irgendwann würde ich diese Serpentinenstraße voller Schlaglöcher und Straßenbanden noch lieben lernen!
Immerhin gab man mir den Fahrer des Polizeichefs mit, Nasrullah. Das sei sicherer. Vielen Dank auch! Das Autokennzeichen war P 0001 , und mich überkam dieses James-Bond-Gefühl, in geheimer Mission unterwegs zu sein. Jedenfalls wagte es niemand, uns aufzuhalten – weder Kontrolleure noch Räuber. Der reinste Traum.
An Tulpenfeldern vorbei rasten wir wieder in Richtung Hindukusch. Achtung, Sybille, Speibeutel bereithalten! In das schöne Auto des Polizeichefs wollte ich mich nicht unbedingt übergeben!
»Oh, Mist, Dadgul! Stau! Was ist denn jetzt schon wieder!«
Der Fahrer schlug wie immer den einzig möglichen Weg durch das Salang-Bergmassiv ein, indem er den von den Russen gebauten Tunnel nahm. In viertausend Metern Höhe standen die überladenen Laster Stoßstange an Stoßstange, schon lange vor dem Tunneleingang, aber auch nebeneinander. Sobald ein Zentimeter frei wurde, schob sich jemand hupend in die Lücke. Keiner der Fahrer kam auf die Idee, den Motor abzustellen! Es gab auch keine roten Ampeln, wie bei uns, die bei Stau die Einfahrt in den Tunnel verhindern. Nö. Eine sieben Kilometer lange Schlange aus Bussen, Autos und Lkws stieß ununterbrochen Abgaswolken aus. Ich wusste nicht, wohin ich schauen sollte: auf die schwindelerregenden Felsmassive über uns, von denen hin und wieder Gesteinsbrocken auf uns herunterfielen, oder nach unten ins Tal, auf die endlose, giftige Autoschlange. Als wir endlich den Tunneleingang erreichten, sah ich mit Schrecken, dass nur eine Fahrbahn für Hin- und Gegenverkehr befahrbar war, den Rest hatten hereinwehende Schneemassen begraben. Und in diesen Tunnel wollten wir jetzt ernsthaft rein?
»Was für ein Chaos, Dadgul! Da KANN ja gar nichts weitergehen!« Ich hielt mir mein Kopftuch bereits vor den Mund. »Das hält ja kein Schwein aus!«
Doch. Alle armen Schweine in den Bussen und Autos hielten das stoisch aus.
Dadgul zuckte die Schultern. »Normalerweise wird der Tunnel im Winter im Zweitagesrhythmus nur als Einbahnstraße freigegeben. Aber die haben wohl den Überblick verloren, wer heute dran ist!«
Ich hustete erneut. Schon fünfhundert Meter vor dem Salangtunnel war die Luft schwarz vor Ruß und Rauch. Im Dieselnebel sah man den Eingang gar nicht mehr!
»Nee, Dadgul, das macht keinen Spaß!«
»Mama! Was hast du vor! Du wirst doch nicht etwa …«
»Doch. Rennen geht schneller!«
Kurzerhand schwang ich mich aus dem Auto und rannte los. Eng an die kalte Felswand gedrängt, von der Eiszapfen herunterhingen, stapfte ich durch den gefrorenen Altschnee, sank ein, fluchte, zog mein Bein wieder heraus und humpelte weiter. Die ganze Zeit über hielt ich mir schützend das Tuch vor Mund und Nase und versuchte, so wenig wie möglich von der vergifteten Luft einzuatmen. Irgendwann erreichte ich dann auch die Stauursache: Ein völlig überladener Bus war mit dem rostigen Karosserieboden auf Grund gelaufen und kam weder vor noch zurück. Die Insassen glotzten stur vor sich hin, egal ob sie saßen oder standen. Keiner versuchte auszusteigen, das Ausmaß des Schadens zu ermessen oder sich in Sicherheit zu bringen. (Oder gar, wie in Deutschland üblich, besserwisserisch einen Vortrag über den Grund für die Panne zu halten und die Schuldigen mit Vorwürfen und Drohungen zu überhäufen!) Wie die Lämmer harrten sie stoisch aus. Ich schien die Einzige zu sein, die sich überhaupt noch bewegte. So hastete ich durch den furchtbaren Tunnel, vorbei an den rumpelnden Rostbomben des Gegenverkehrs, aus deren Inneren mich erschrockene Augen anstarrten, als wäre ich ein Mondkalb.
Endlich, endlich war ich auf der anderen Seite angekommen und taumelte mit letzter Kraft aus dem Höllenloch.
Ich sog die frische Luft ein wie eine Ertrinkende, und an die hundert Männer mit Turban, Pakol (Flachmütze der Männer der Nordallianz) oder Gebetsmütze staunten nicht schlecht: Eine Frau, zu Fuß, kommt durch den Tunnel getaumelt – allein! Unfassbar!
Ich hatte keine Angst vor ihnen. Alles war besser, als in diesem Loch zu ersticken.
Nach etwa einer Stunde kam Dadgul aus dem dunklen Maul des Tunnels: Er selbst hatte diesen rutschigen Fußmarsch nicht so sportlich weggesteckt wie ich. Aber immerhin war er mir
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