Drachenklänge
erhielt die Gelegenheit, ihre Familie wiederzusehen, Neuigkeiten auszutauschen, die während der letzten Jahre geborenen Babys zu bewundern, frisch getrauten Ehepaaren zu gratulieren – und Robinton vorzuzeigen.
Petiron wurde von der Tante und dem Onkel, die
Merelan großgezogen hatten, mit offenen Armen empfangen. Merelans Eltern waren bei einem der heftigen Herbststürme, die regelmäßig die Westküste heim-suchten, ums Leben gekommen. Petiron staunte, wie viele ausgezeichnete, wenn auch ungeschulte, Sänger und Sängerinnen Merelans Heimstatt hervorgebracht hatte.
»Keiner hier singt auch nur einen falschen Ton«, wunderte er sich am ersten Abend. »Welche deiner Tanten gab dir den ersten Gesangsunterricht?«
»Das war Segoina«, erwiderte sie, während sie über seine aufrichtige Verblüffung schmunzelte.
»Der Kontraalt?«
Sie nickte.
Er stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
»Sie bestand darauf, dass man mich in die Harfnerhalle schickte«, fuhr Merelan fort. »Eigentlich hätte sie gehen sollen, doch sie war schon mit Dugall verbunden und wollte ihn nicht verlassen.«
»Und verschwendete ihre herrliche Stimme an eine Burg …« Mit einer ziemlich abfälligen Gebärde deutete Petiron auf die weitläufige Festung aus rotem Sandstein.
»Segoina hat ihr Talent nicht verschwendet«, widersprach Merelan ein bisschen verschnupft.
»So hatte ich das nicht gemeint, Merelan, das weißt du«, korrigierte Petiron sich hastig. Er hatte gesehen, 33
mit wie viel Respekt und Liebe die Frauen einander begegneten. »Aber aus ihr hätte eine Meistersängerin werden können …«
»Nicht jeder findet diese Berufung so zufrieden stel-lend wie wir, Petiron«, ermahnte sie ihn freundlich aber bestimmt. Petiron begriff, dass er mit jeder weiteren Bemerkung nur noch tiefer ins Fettnäpfchen treten würde. Und in Gedanken fügte Merelan hinzu, dass es sogar Perneser gab, wie diesen Hinterwäldler Rochers, die einen regelrechten Hass gegen alle Harfner und Musikanten hegten.
Als sie sich in Burg Pierie niederließen, kehrte Petirons Unmut über diesen Auftrag zurück. Ihr Quartier bestand lediglich aus drei Räumen. Robinton musste mit ihnen im selben Zimmer schlafen; sein Bettchen stand am Fußende der ehelichen Lagerstatt, die nahezu den gesamten Raum ausfüllte, trotz der Aushöhlungen, die man quasi als Schrankersatz in die hintere Felswand geschlagen hatte.
Die größere Kammer diente als Wohnstube und
schloss eine Küchennische ein. Toilette und Bad befanden sich in einem winzigen, engen Kabuff, und Merelan erklärte fröhlich, dass man hier ohnehin meistens im Meer badete. Missmutig beäugte Petiron die lange, steile Treppe, die zu einer sandigen, sichelförmigen Bucht hinabführte, in der ein paar der burgeigenen Fi-schereischaluppen ankerten.
Schon bald stellte er fest, dass sich das Leben hier größtenteils draußen abspielte, entweder auf dem enormen, offenen Innenhof, der mehrere Werkstätten beherbergte, oder im Schatten einer mit Weinreben umrankten Laube, die größer war als sämtliche Privat-unterkünfte zusammen.
Zwei eingezäunte Abschnitte blieben Kleinkin—
dern vorbehalten; dort konnten sie in einem flachen Schwimmbecken plantschen, im Sand spielen oder
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sich mit einer reichhaltigen Auswahl von Spielsachen vergnügen. Robinton watschelte schon vergnügt umher, ein buntes Plüschtier im Arm.
»Ist das etwa ein Drache?« fragte Petiron Merelan.
Drachen waren kein Spielzeug, es wäre einer Blasphe-mie gleichgekommen.
»Nein, du Dummer. Das soll eine … Feuerechse
sein«, klärte Merelan ihren verdutzten Ehemann auf.
»Eine Feuerechse? Die sind doch schon vor Hunderten von Planetenumläufen ausgestorben.«
»Das stimmt nicht. Es gibt immer noch welche.
Mein Vater sah eine, und Onkel Patry behauptet, er hätte erst neulich eine gesichtet.«
»Und er irrt sich auch ganz bestimmt nicht?« Petirons pragmatisches Naturell verlangte immer nach einem Beweis.
»Er ist sich absolut sicher. Und hin und wieder finden wir im Treibgut am Strand Eierschalen, die darauf hindeuten, dass die Feuerechsen irgendwo immer noch existieren, auch wenn man sie kaum zu Gesicht bekommt.«
»Nun ja, wenn das so ist …« Petiron schien überzeugt. Merelan wandte ihr Gesicht ab, damit er ihr verschmitztes Grinsen nicht sah.
Sie war sich völlig darüber im Klaren, welche Vor-urteile und falschen Auffassungen über das Leben in Burg Pierie ihr Ehemann hätschelte, doch es hätte nichts genützt, mit ihm
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