Drachenklänge
zweiten Monat des neuen Planetenumlaufs tauchte Nip völl
I
ig abgekämpft bei Robinton auf. Es war
bereits spät in der Nacht.
»Fax ist wieder auf Beutezug«, verkündete er. Er warf seine abgewetzte Lederjacke auf den Boden,
schenkte sich ein Glas Wein ein und trank es in einem Zug aus.
»Ich kann dir eine heiße Suppe geben«, schlug Robinton vor, als er Nips bläuliche Lippen bemerkte. Nip lehnte ab, schenke sich Wein nach und ging zum Kamin. »Was treibt er denn so?«
Robinton räumte seinen Platz, und dankbar ließ Nip sich in den freien Sessel sinken. Dann goss er sich selbst ein Glas Wein ein und rückte für sich einen Stuhl ans Feuer.
»Er hat sich eine perfide Methode ausgedacht, wie er sich kleine und größere Pachthöfe aneignen kann.«
»Erzähl. Ich bin ganz Ohr.« Robinton füllte Nips leeres Weinglas wieder auf. Er kredenzte den guten Benden Wein.
»Zuerst stattet er seinem anvisierten Opfer einen Besuch ab, macht ihm Komplimente, wie gut er sein Anwesen bewirtschaftet. Kauft auf, was immer die Höfe anzubieten haben, bezahlt mehr als den üblichen Preis …«
»Mit anderen Worten, er biedert sich an«, kommentierte Robinton.
»Genau. Dann schickt er einen seiner Männer in die 493
betreffende Ansiedlung, unter dem Vorwand, er solle lernen, wie man unter den jeweils gegebenen Umständen so ertragreiche Ernten erzielt. Es ist erstaunlich, wie selbst kluge, umsichtige Menschen sich so leicht hinters Licht führen lassen.«
»Manche dieser Anwesen liegen so isoliert, dass die Bewohner höchstens einmal pro Planetenumlauf an
einer Versammlung teilnehmen können – wenn überhaupt.«
»Das ist wahr.« Nip seufzte. »Nebenbei versucht er, durch Anspielungen oder offene Hetze – je nachdem, auf wie bereitwillige Zuhörer er stößt – der Harfnerhalle zu schaden. Er führt Beispiele für so genannte
›Harfnerlügen‹ an. Als Nächstes lädt er den Grundbesitzer samt seiner Familie ein, die Versammlung im Hochland zu besuchen. Und wenn derjenige zusagt, bietet er ihm an, ein paar seiner Leute auf sein Anwesen zu schicken, die die Felder bestellen oder das Vieh versorgen, bis der Pächter wieder daheim ist.«
»Und während dieser Zeit machen sich Fax' Handlanger gründlich mit den regionalen Gegebenheiten vertraut.«
»Richtig.« Schlückchenweise trank Nip den guten
Wein. »Eine Pächterfamilie ist von ihrem Besuch im Hochland nie wieder aufgetaucht, und auf diese Weise gelangte Fax in den Besitz von Keogh. Eine kleinere Burg.«
»Wie viele Burgen nennt er jetzt sein eigen?«
»Vier.«
»Nicht schlecht.«
Robinton merkte, wie Nip trotz des Weines und des Kaminfeuers fröstelte. »Ich helfe dir, die Stiefel auszu-ziehen. Sie scheinen völlig durchnässt zu sein.«
»Du bist der Einzige, dem ich dieses Privileg ge-währe«, scherzte Nip, streckte das linke Bein aus und stemmte den rechten Fuß gegen Robintons Hinterteil.
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»Obwohl ich eine Menge Leute kenne, die dem Meisterharfner von Pern gern einen Tritt in den Hintern geben würden.« Dann stieß er heftig zu – natürlich nur, damit Robinton ihm den Stiefel abstreifen konnte.
*
In der nächsten Zeit begnügte sich Fax damit, seine immer ausgedehnteren Grenzen abzureiten und seine Pächter zu noch mehr Fleiß anzufeuern.
Robinton konnte nicht ständig darüber nachgrü-
beln, was Fax im Schilde führte, denn er musste sich mit den Angelegenheiten der Harfnerhalle beschäftigen, die immer komplizierter wurden, weil die Vorur-teile gegen diesen Berufsstand zunahmen. Doch als er hörte, dass Nemorth tatsächlich zu einem Paarungsflug aufgestiegen war und von Simanith begattet
wurde, sandte er seine Glückwünsche. F'lon stattete ihm einen Besuch ab, und Robinton fiel auf, wie überaus selbstgefällig sein Freund dreinschaute.
»Wie ist es dir überhaupt gelungen, Nemorth zum
Aufsteigen zu bewegen?« erkundigte sich Robinton und schenkte den Wein ein, den F'lon zur Feier des Tages mitgebracht hatte.
»Zuerst hungerten wir die beiden aus. Ich hätte nie gedacht, dass eine Drachenkönigin so viele Schwierigkeiten machen könnte. Sämtliche Bronzedrachen waren nötig, um ihr jede Beute wegzunehmen, die sie gerissen hatte. Des Nachts stahl sie sich aus dem Weyr auf der Suche nach Futter.«
»Wer? Jora oder Nemorth?«
F'lon blinzelte, und dann lachte er schallend. »Eigentlich sprach ich von Nemorth, aber ich glaube, Jora hatte jede Menge Proviant bei sich versteckt, denn sie nahm kein Gramm ab. Unsere Hauptsorge galt
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