Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Hermel gierig nach Luft schnappen kann und zwischen all den Flüchen und Selbstvorwürfen noch Platz in seinen Gedanken für die nüchterne Feststellung findet: Weil ich ein Esel bin!
Aber da stößt es schon wieder säuerlich aus seinem Magen wie eine geballte Faust, und er quetscht seinen Bauch mit aller verbliebenen Kraft dicht unter dem Brustbein zusammen. Verfluchte Scheiße! Ich habe es doch gewußt, ich kenne mich doch, für Heldentaten bin ich eben nicht der Typ.
Die Fledermaus achtzehn fällt wie ein Stein in die Tiefe, und Goff fühlt sich so erbärmlich wie eine Wanze, die sich auf ein vermeintliches Opfer stürzen ließ und nun feststellen muß, daß ihr Startplatz auf unverständliche Weise die Spitze des Eiffelturms war.
Goff ist kosmosscheu. Seine Kosmophobie ist derart wie bei anderen Leuten die Wasserscheu. Wie ein Hydrophobier im Extremfall bereits beim Anblick eines Wassereimers von Schreikrämpfen gepackt wird, so schwindelt es Goff schon, wenn er den Blick zum sternübersäten Himmelsgewölbe hebt.
Er hat nun den Eindruck, als schieße die zerklüftete Merkuroberfläche in irrsinnigem Tempo auf den kleinen Lander zu, doch ist dies keinesfalls angenehmer als das Gefühl des Falls ins Bodenlose.
Er weiß es ja: In solch kleinen Schiffen ist kein Platz für Kompensatoren und ähnlichen technischen Kram, der dazu angetan ist, die Qual der Schwerelosigkeit und die Hölle des Beschleunigungs- oder Bremsandrucks erträglich zu machen.
Ihm ist einfach speiübel, und keinerlei Aktion des überwachen Geistes vermag dies zu ändern. Seine Ankunft auf Hermes hat er sich gewiß anders vorgestellt, aber schon der Start des Orbiters ließ ihn ahnen, wie wenig heroisch sein Unternehmen beginnt. Als die Kuppel von Amorix hinter dem Heck des Flugkörpers zu einem gleißenden Pünktchen schmolz, da war es fast schon Gewißheit, daß Hermel Goff zum ersten Märtyrer einer grandiosen Idee bestimmt war.
Zwar ist er – notgedrungen schon einigemal Hunderte oder gar Tausende von Kilometern über der Erdoberfläche gewesen, und stets ist er sich wie ein entwurzelter Baum vorgekommen, den böse Mächte aus Terras fruchtbarem Boden gerissen und dann mit perversem Vergnügen durch die tödliche Leere geschleudert haben – aber so scheußlich wie diesmal war es noch nie.
Vielleicht bin ich krank? fragt er sich, unsicher darüber, ob ihm diese Erklärung Befriedigung oder Besorgnis bereiten sollte. In den letzten Tagen hat er kaum etwas gegessen, dann noch die verrückte Nacht mit dieser Hendrikje, die Aufregung im Hauptquartier des MOBS, als man von der Hypothese dieses Skagit erfuhr… Warum überhaupt hat er darüber gesprochen? Fast nimmt er es dem Elloraner schon übel, daß er ihm die Nachricht von dieser Theorie zukommen ließ, die Ursachen und Periodizität der katastrophalen Sonnenbeben trotz aller Kompliziertheit des mathematischen Apparats verblüffend einfach erklärt.
In den Allerwertesten könnte er sich beißen ob dieser einen unbedachten Bemerkung, es gäbe schon längst eine ausgearbeitete, von den Experten aber mit Mißachtung gestrafte Theorie!
Was geht den MOBS überhaupt die Sonne an, die ist schließlich kein Mungo. Oder vielleicht doch? Goff lacht trocken auf. Die Sonne als Mungo – irgendwie ist schon etwas dran an diesem Vergleich… Aber Hermel Goff weiß sehr wohl, weshalb sich der MOBS so für die Sonnenbeben interessiert. Da gibt es nämlich noch eine andere Theorie, die etwas mit Mungoismus und genetischen Manipulationen zu tun hat…
Und auch diese Information erreichte den MOBS über Hermel Goff, der eine feine Spürnase für Gefahren aller Art hat, und Hermel war auch der erste, der den Blick von der Sonne wandte, als man immer aufgeregter nach den Ursachen fragte, und der dafür auf die Menschen sah, ja: auf die Menschen. Natürlich hat die Sonne mit dem Auftreten des Mungoismus zu tun – Statistiken sind die Anatomie aller Gesetze. Und ebendeshalb hat Goff alle nur erreichbaren Stellen angezapft, die etwas mit der Heliophysik zu tun haben. Leider waren seine Argumente gegen die extreme Reduzierung der Drachenkreuzerflotte zuwenig wissenschaftlich abgesichert, leider…
So bleibt als Joker in diesem blinden Umhertappen, das sich Forschung nennt, nur noch die Ikaros. Aber gerade hier hatte er den geringsten Erfolg: Zwei der wichtigsten Personen – Flakke und der Bordarzt – konnte er noch nicht für seine Sachen gewinnen. Flakke hat er schon vor dem ersten Versuch aufgegeben.
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