Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Richtung Plantagengewölbe…, zweiundvierzigste Station, nein, dreiundvierzigste… Umsteigen Richtung Energetikbunker…, dann noch mal, beim Vertikalschacht neun, und jetzt bis zu den Siloblasen… Goff atmet erleichtert auf – der Kopf funktioniert also noch.
Im Tubifex hat er ein wenig Zeit, sich alles zurechtzulegen. Sollte er zu spät kommen, muß sein Ausweis helfen. Das wird ihm ein allerhöchstes Donnerwetter einbringen, zweifellos, aber der Zweck heiligt seit Tausenden von Jahren die Mittel – und es ist ein guter Zweck, und das Mittel ist nicht verabscheuungswürdig. Es gibt Schlimmeres: Gedankenlosigkeit und Bequemlichkeit, Genügsamkeit und Maßlosigkeit, aber am schlimmsten ist wohl die Dummheit.
Draußen fliegen die Nummern der Kasematten vorbei: Beta drei, Beta vier…, Gamma acht, Gamma neun…, Lambda zwei, Lambda drei…
Goff wundert sich einige Sekunden darüber, daß er die Zeichen trotz der hohen Geschwindigkeit der Kabinenbahn so gut lesen kann, er braucht nicht einmal den Kopf zu drehen. Dann denkt er an andere Dinge. Heute wird er endlich einmal wieder etwas anderes tun können, als Mungos zu jagen. Diese ewige und so aussichtslose Hatz geht ihm allmählich aufs Gemüt. Die Verhandlungen mit den Führern der Loge und der Liga ziehen sich hin, von Kooperationsbereitschaft kann keine Rede sein, Ausnahmen gibt es nur, wenn sich Loge und Liga gegenseitig etwas Schlechtes antun können. Solche Chancen lassen die nicht aus.
Es ist eben immer das gleiche: Sobald etwas institutionalisiert ist, gerät die Idee, das Programm oder was immer aus dem Blickfeld, geht es nur noch um Macht. Manchmal allerdings hat sich Goff gefragt, ob das nicht ein natürlicher Vorgang sei, da Ideen und Ideale ohne Macht ja schließlich nicht bedeutender sind als ein Juckreiz oder ein Schnupfen. Da liegt dann die Gefahr nahe, daß sich Macht verselbständigt…
Omikron drei, Omikron vier…
Wieder staunt Goff. Noch bevor der Tubifex bremst, kann er die Nummer der Station ohne Schwierigkeit lesen. Liegt das vielleicht an der stimulierenden Wirkung des Toka-Toka? Goff entscheidet, daß nur die Droge der Grund sein kann. Auf diese Weise ist das Problem hinlänglich geklärt und bedarf keiner weiteren geistigen Anstrengung. Trotzdem ist er nicht restlos zufrieden mit dieser Wendung der Dinge, aber er tröstet sich mit der Erfahrung, daß einen Entscheidungen dieser Art nie restlos befriedigen, daß immer die Ahnung von zukünftigem Unheil bleibt.
Plötzlich kichert Goff erheitert, ihm ist ein Omegasatz eingefallen, den er dieser Hendrikje in einer sentimentalen Aufwallung an das Panoramafenster krakeln wollte. Flucht / Ohne Dich ist die Welt eng / überall stoße ich an / ich kann mich nicht verkleinern / Omega.
Da hat ihm der Elloraner einen ganz heißen Tip gegeben. Wer auch immer dieser Geisterpoet auf der Ikaros ist – der Mann ist trotz seiner lyrischen Unbedarftheit ein Genie! Die Idee mit den Omegasätzen ist von der Bevölkerung mit Enthusiasmus aufgegriffen worden. Vermutlich weiß dieser verhinderte Poet noch gar nicht, was er angerichtet hat, und mit einiger Sicherheit wird er auch nie erfahren, daß eigentlich er – und nicht Hermel Goff – der Urheber einer richtigen Bewegung ist. Goff fand es erst regelrecht blöd, aber ein Satz hatte es ihm angetan: Kälte / Deine Wärme ist mir Eis / kann nur im Feuer leben / dränge mich an Dich und erfriere / Omega.
Das ging ihm unter die Haut. Hätte er damals nicht gerade ein unersprießliches Erlebnis mit einem blutjungen, gerade dem Nesturbanidum entfleuchten Vögelchen gehabt, das ihm sogar noch während des zärtlichen Beisammenseins Verhaltensgrundsätze deklamierte – gib, ohne zu fordern, nimm, ohne zu danken…, oder so ähnlich –, hätte er sicherlich diese Verslein ironisch belächelt. Aber der Elloraner sprach sie mit solcher Inbrunst.
Goff schüttelt verwirrt den Kopf. Seine Gedanken waren auf Abwegen
– das geschieht sonst nicht. Was ist mit mir? fragt er sich belustigt. Ist das etwa immer noch diese Hendrikje Greiff? Teufel noch mal – warum vergesse ich diese grünüberhauchten Augenbrauen nicht? So ungewöhnlich ist das Mädchen doch wirklich nicht. Ha! Wenn ich da an Eldrid denke – oder an Adda, mein Gott, Daoud erst! Oder der Elloraner – so übel war Marigg eigentlich auch nicht! Vielleicht kann man sich an solche Weibmänner sogar gewöhnen, immerhin war er von einer beinahe entwaffnenden Ehrlichkeit, vor allem auch im Fühlen.
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