Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Goff schnauft melancholisch.
Gleichzeitig wird ihm deutlich bewußt, daß jedem dieser Erlebnisse eine beängstigende, eiskalte Leere folgt, und ebenso klar begreift er, daß dieses Nichts aus ihm selbst wächst, Bestandteil seines eigenen Fühlens und Denkens ist.
Zeta vier, Zeta fünf… Omega sechs, Omega sieben… Goff schreckt aus seinen Grübeleien. Die Omegareihe ist erreicht. Er blickt nach draußen und zweifelt einen Augenblick ernstlich daran, daß die Kabinenbahn mit über dreihundert Kilometern in der Stunde durch die Vakuumröhre saust. Auf der Erde wurde ihm bei diesem Anblick gelegentlich sogar schwindlig, hier aber hat er beinahe das Gefühl, während der Fahrt aussteigen zu können. Auf einmal durchzuckt ihn ein Gedanke, freudig und ängstlich, ein Gedanke, der ihn seit Jahren beschäftigt: Empfinden so Mungos? Hundertmal, tausendmal hat er gehört, wie Mungos ihr Erleben der Welt schilderten. Er hat ihre Klagen gehört, alles sei so langsam, so zäh, so träge – aber auch ihren Triumph, wie schnell sie seien, wie überragend ihre Reflexe, ihre beruflichen Leistungen… Oft hat er sie beneidet, gegen besseres Wissen. Doch sie sprachen so überzeugt, so leidenschaftlich, wenn sie ihre Überlegenheit beweisen wollten, daß selbst er, der. es tausendfach miterleben mußte, vergaß, welch grausames Ende einen Mungo erwartet: Zuckend, spuckend, in Krämpfen zitternd, sterben diese Wahnsinnigen, die sich für Auserwählte halten.
Es ist das Erlebnis dieses Endes, was Goff die Kraft für seine Aufgabe gibt. Jedesmal, wenn er einen dieser Bedauernswerten sterben sah, konnte er die Tränen nicht zurückhalten und schwor sich aufs neue, nicht zu erlahmen, raffiniert und heimtückisch zu sein.
Omega dreizehn…
Goff springt auf und drückt den Knopf. Das hätte er schon vorher tun können, und einige Augenblicke lang überlegt er, ob er den Halt auf Omega dreizehn nicht schon programmiert hat. Aber sein Sprung ist von solcher Rasanz, daß dies kaum eine Rolle spielt.
Der Tubifex hält fauchend, dann gleitet das Schott zurück. Goff steigt aus und sieht sich um. Dieser prüfende Blick ist ein Charakteristikum seines Berufs, geschieht ganz automatisch. Es ist erstaunlich, wieviel solch ein geübter, aber scheinbar gedankenloser Blick auf einen Schlag zu erfassen vermag.
Diesmal erfaßt er etwas, was Hermel Goff das erstemal in seinem Leben aus dem Gleichgewicht bringt. Vielleicht hätte ihn auch der weibliche Phänotyp drawidisch Delta oder Epsilon einigermaßen überrascht. Aber eben nur einigermaßen.
Dieser weibliche Phänotyp ist eindeutig skandinavisch acht, mit meerblauen Augen und auffällig geschwungenen Brauen, die smaragdgrün überhaucht sind…
“Hendrikje!” Sein Mund war diesmal schneller als sein Gehirn. Eine Sekunde lang kann er noch denken: Mein Gott, wie stehe ich denn da, mit sperrangelweit geöffnetem Mund, wie dämlich muß ich aussehen…
Dann springt er auf Hendrikje Greiff zu und schließt die konsternierte Frau lachend in seine Arme.
Im ersten Augenblick weiß Hendrikje nicht, wie ihr geschieht. Ein Mann springt sie an, preßt sie an sich. Aber dieser Geruch, dieser Duft! Noch bevor sie den Blick heben kann, signalisiert ihr die Nase, daß dies ein äußerst gefährlicher Duft ist. Hendrikje stemmt beide Hände gegen die Brust des Mannes und stottert verstört: “Hermel Goff…, wie kommst du hierher?” Der Mann ist stärker, und so rutschen ihre Hände wie aus Versehen nach oben, berühren seinen Hals.
“Hendrikje…, Mädchen…, was kann schöner sein, als dich hier, gerade hier, zu treffen!” Seine Stimme klingt wie splitterndes Glas.
Hendrikje blickt nach oben und sieht sein Gesicht. Dieses Glühen in den mandelförmigen Augen kann keine Lüge sein, denkt sie, aber sofort regt sich Mißtrauen in ihr. Sollte er wirklich nicht gewußt haben, daß sie zum Merkur fliegt? Auf einmal hat sie das Gefühl, daß nicht Goff sie hält, sondern daß es eher umgekehrt ist: Er hält sich an ihr fest. Dann spürt sie das Zittern. Tatsächlich, Goff bebt am ganzen Körper.
Ganz vorsichtig greift sie in seinen Nacken, scheu, beinahe unbeholfen. Und ihr kommt ein dummer Gedanke. “Wo hast du deine Stacheln, Igel?” sagt sie leise, und sie weiß noch nicht genau, wie sie das Gefühl nennen soll, das ihr diese Worte eingab.
Goff preßt sein Gesicht gegen ihr Haar und schnauft: “Irgendwo, frag mich nicht…, irgendwo…”
Er streichelt sie, aber seine Bewegungen sind
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