Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Mund und betastet es mit den Lippen. Das hat Klugwarm schon oft bemerkt: Roch benutzt den Mund zum Tasten. Und obwohl Roch darüber nichts sagen kann, weil seine Zeichen zu undeutlich sind, glaubt Klugwarm, daß Roch mit den Lippen ebensogut tasten kann wie er selbst mit seinen sieben Fingern. Klugwarm sieht, wie die Eiskristalle schmelzen, und er sieht auch, daß es darunter fast genauso glänzt und glitzert wie vorher das gefrorene Wasser.
In Klugwarm erwacht wieder die Kraft, die ihn treibt, Fragen zu suchen und Antworten. Neugierig tritt er näher und streckt mit einem fordernden Knurren die Hand aus, doch als er Rochs Pranke berührt, gurgelt dieser böse auf und wendet sich ab.
Klugwarm zuckt zurück. Da ist wieder dieses Gefühl, für das er noch kein richtiges Wort gefunden hat, weil er nicht weiß, ob er das Ding nach seiner Ursache oder seiner Wirkung benennen soll. Es ist ebenso immer das gleiche mit Dingen, die man nicht tasten kann, die sind und zugleich nicht sind. Er denkt, Roch könne etwas Kaltes tun, wenn er so böse und kalt gurgelt. Aber warum denkt er das? Und warum sollte Roch etwas Kaltes tun?
Plötzlich schwebt ein seltsamer Ton durch die Welt, er steigt auf und wird mächtig, füllt alles aus. Ebenso schnell bricht er wieder ab.
Roch ist erschrocken zur Seite gesprungen und betastet das Ding aufgeregt mit seinen Stummelfingern. Klugwarm hört in seinem Innern noch immer diesen Ton. Der war so ganz anders als alle anderen Töne in der Welt! Unendlich traurig klang es, und irgendwie sehr warm, süß, weich…
Und – der Ton kam aus Roch!
Klugwarm schüttelt benommen den Kopf. Seine Kaltkraft gibt ihm Bilder, die er nicht zu denken vermag. Schisch ist da plötzlich, aber auch die Glumpe, und alles ist ganz anders, aber auf welche Weise, kann er nicht ergründen.
Der Ton kam aus Roch!
Erneut hebt Roch das Ding an die Lippen, diesmal aber zögernd, beinahe ängstlich.
Ganz leise schwingt diesmal der Ton durch die Welt. Und es ist nicht nur ein Ton, es sind mehrere, verschiedene. Ihre Folge ist fast so, als seien es Worte, traurige, schmerzerfüllte Worte… Klugwarm lauscht atemlos. Kein Zweifel, die Töne kommen aus Roch – oder aus dem Ding?
Wie eine Klage ist es, dieses langgezogene, wimmernde Geräusch, als ob die kleine Schisch greint, weil ihr zu kalt ist oder weil sie Hunger hat.
Roch gurgelt voller Angst auf und wirft das Ding weit von sich. Erst ist Klugwarm wie erstarrt vor Kälte, aber diese Kälte ist eigentlich Wärme, doch von Wärme kann man nicht starr und steif werden – Klugwarm fühlt, wie sich seine Kaltkraft zunehmend verwirrt. Aber das ist er ja gewohnt, daß Dinge, die sind und zugleich nicht sind, die Kaltkraft durcheinanderbringen, sie manchmal förmlich zerfetzen, so wie seine Zähne die Nahrung zerreißen und zermalmen, die Roch und er aus der Kälte der Welt holen. Immer noch schwingt und tönt es in Klugwarm so laut, daß er die Stimmen seiner Kaltkraft nur schwach hört. Und so kommt der Befehl wohl mehr aus seiner ungestüm schlagenden Warmkraft, das Ding zu suchen und zu nehmen. Seine Kaltkraft hat das Bild bewahrt, wie Roch das Ding entsetzt von sich warf, und so weiß Klugwarm, wo er zu suchen hat.
Da liegt es. Zögernd streckt er seine Hand danach aus. In ihm toben Stimmen und Klänge mit einer Macht, wie er sie seit damals, als die große Schisch in die Kälte ging, nicht mehr gehört hat. Das Ding ist hart und kalt und glänzend. Vorsichtig nimmt er es vom Boden auf. Klugwarm dreht das Ding hin und her, er wird unsicher und schüttelt es. Das Ding bleibt stumm. Also war es doch Roch!
Während Klugwarm noch im Zweifel darüber ist, was er tun soll, hat Roch bereits begonnen, sich seine Ladung aufzubürden.
Aber warum hat Roch nicht vorher in solchen Tönen gesprochen? fragt sich Klugwarm verzweifelt. Warum erst, als er dieses kalte, glänzende Ding fand?
Nein, es muß anders sein: Roch und das Ding haben die Töne gemeinsam gemacht.
Klugwarm führt das Ding an seine Lippen, er beleckt es, tastet mit der Zunge in die vielen kleinen Öffnungen, umschließt es fast völlig mit dem Mund – so wie Roch es getan hat. Aber nichts geschieht. Doch als er enttäuscht seufzt, da – ein schriller, häßlicher Klang tönt aus seiner Hand, die das Ding fest umklammert.
Bald hat Klugwarm verstanden, worum es geht. Man muß nur seinen Atem in das Ding hineinblasen! Aber weshalb klingt es bei ihm so scheußlich, gar nicht so zart und melancholisch wie bei
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