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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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diesen Drachen in die Hände zu bekommen ... Ich blickte in jede Gasse, in jeden Laden. Keine Spur von Hassan.
    Ich hegte schon die Befürchtung, dass es dunkel sein würde, bevor ich Hassan fand, als ich vor mir Stimmen vernahm. Ich hatte eine abgelegene, matschige Straße erreicht. Sie verlief quer zum Ende der Hauptstraße, die den Basar in zwei Hälften teilte. Ich bog auf den zerfurchten Weg ein und folgte den Stimmen. Meine Stiefel versanken bei jedem Schritt im Matsch, und mein Atem stieg in weißen Wolken vor meinem Mund auf. Der schmale Weg verlief auf der einen Seite parallel zu einer verschneiten Schlucht, durch die im Frühjahr wohl ein Bach geflossen sein mochte. Auf der anderen Seite stand eine Reihe von schneebeladenen Zypressen, unterbrochen von einfachen, flachen Lehmhäusern - in den meisten Fällen kaum mehr als Hütten -, zwischen denen sich hin und wieder schmale Gassen auftaten.
    Ich vernahm die Stimmen wieder, dieses Mal lauter. Sie kamen aus einer dieser Gassen. Ich schlich mich bis dorthin. Hielt den Atem an. Spähte um die Ecke.
    Es war eine Sackgasse, an deren Ende Hassan stand: die Hände zu Fäusten geballt, die Beine leicht gespreizt. Hinter ihm, auf einem Haufen Schrott und Schutt, lag der blaue Drache. Mein Schlüssel zu Babas Herz.
    Drei Jungen versperrten Hassan den einzigen Weg aus der Gasse; dieselben drei, vor denen uns Hassan damals auf dem Hügel, einen Tag nach Daoud Khans Staatsstreich, mit seiner Schleuder gerettet hatte. Wali stand auf einer Seite, Kamal auf der anderen und Assef in der Mitte. Ich spürte, wie sich mein Körper anspannte und mir etwas Kaltes den Rücken hinaufkroch. Assef machte einen entspannten, selbstsicheren Eindruck. Er spielte mit seinem Schlagring herum. Die beiden anderen Jungen traten nervös von einem Fuß auf den anderen, blickten von Assef zu Hassan, als hätten sie ein wildes Tier in die Enge getrieben, das nur Assef zu zähmen in der Lage war.
    »Wo ist denn deine Schleuder, Hazara?«, fragte Assef und drehte den Schlagring in seiner Hand. »Was hast du damals noch zu mir gesagt? >Sie werden dich Einäugiger Assef nennen müssen. < Das ist gut. Einäugiger Assef. Das war wirklich clever. Wirklich clever. Aber es ist immer leichter, clever zu sein, wenn man eine geladene Waffe in der Hand hält, nicht wahr, Flachnase?«
    Ich bemerkte, dass ich immer noch nicht ausgeatmet hatte. Ich tat es nun langsam und ganz leise. Ich war wie gelähmt. Ich sah zu, wie sie auf den Jungen zugingen, mit dem ich aufgewachsen war, dessen Gesicht zu meinen ersten Erinnerungen gehörte.
    »Aber heute ist dein Glückstag, Hazara«, sagte Assef. Er stand zwar mit dem Rücken zu mir, aber ich hätte wetten können, dass er grinste. »Ich bin in einer versöhnlichen Stimmung. Was haltet ihr davon, Jungs?«
    »Du bist sehr großzügig«, platzte Kamal heraus. »Besonders nach dem unhöflichen Verhalten, das er uns gegenüber beim letzten Mal gezeigt hat.« Er versuchte wie Assef zu klingen, nur war da ein Zittern in seiner Stimme. Ich begriff: Er hatte keine Angst um Hassan, nein, er hatte Angst, weil er nicht wusste, was Assef vorhatte.
    Assef vollführte eine abweisende Geste mit der Hand. »Bakhshida. Vergessen. Schnee von gestern.« Seine Stimme wurde ein wenig tiefer. »Natürlich ist nichts auf dieser Welt umsonst, und meine Begnadigung hat einen kleinen Preis.«
    »Das ist nur fair«, sagte Kamal.
    »Nichts ist umsonst«, fügte Wali hinzu.
    »Du bist ein Glückskind, Hazara«, sagte Assef und trat einen Schritt auf Hassan zu. »Denn heute kostet es dich einzig und allein diesen blauen Drachen. Das ist doch ein faires Geschäft, oder, Jungs?«
    »Mehr als fair«, erwiderte Kamal.
    Selbst von der Stelle, wo ich kauerte, konnte ich sehen, wie die Furcht in Hassans Augen kroch, aber er schüttelte den Kopf. »Amir Aga hat das Turnier gewonnen, und ich habe den Drachen für ihn erlaufen. Alles ganz sauber. Dieser Drache hier gehört ihm.«
    »Ein treuer Hazara. Treu wie ein Hund«, sagte Assef.
    Kamais Lachen hatte einen schrillen, nervösen Klang.
    »Aber bevor du dich für ihn opferst, denk einmal über Folgendes nach: Würde er das Gleiche für dich tun? Hast du dich nie gefragt, warum er dich nie mitspielen lässt, wenn er Gäste hat? Warum er nur mit dir spielt, wenn sonst keiner da ist? Ich werde dir sagen, warum, Hazara. Weil du für ihn nichts weiter bist als ein hässliches Haustier. Etwas, womit er spielen kann, wenn ihm langweilig ist, etwas, dem er einen

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