Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
Vom Netzwerk:
Tritt versetzen kann, wenn er wütend ist. Mach dir nur nichts vor und glaube, dass du mehr für ihn bist.«
    »Amir Aga und ich sind Freunde«, erklärte Hassan mit rotem Gesicht.
    »Freunde?«, erwiderte Assef lachend. »Du bemitleidenswerter Narr! Was für eine Fantasie! Eines Tages wirst du schon noch merken, was für ein Freund er ist. Bas jetzt! Genug davon. Gib uns den Drachen.«
    Hassan bückte sich und hob einen Stein auf.
    Assef zuckte zurück. Er begann einen Schritt nach hinten zu weichen, hielt aber inne. »Letzte Chance, Hazara.«
    Statt zu antworten, hob Hassan die Hand, in der er den Stein hielt.
    »Wie du willst.« Assef knöpfte seinen Wintermantel auf, zog ihn aus, faltete ihn langsam und gründlich zusammen. Legte ihn an die Mauer.
    Ich öffnete den Mund, hätte beinahe etwas gerufen. Aber nur beinahe. Mein Leben wäre vielleicht anders verlaufen, wenn ich es getan hätte. Aber ich tat es nicht. Ich sah nur zu. Wie gelähmt.
    Assef vollführte eine Bewegung mit der Hand, und die beiden anderen Jungen lösten sich, traten zur Seite und formten dadurch einen Halbkreis, sodass Hassan in der Falle saß.
    »Ich habe es mir anders überlegt«, erklärte Assef. »Du darfst den Drachen behalten, Hazara. Du darfst ihn behalten, damit er dich immer an das erinnern wird, was ich dir jetzt antun werde.«
    Und dann stürmte er los. Hassan schleuderte den Stein. Traf Assef an der Stirn. Assef schrie auf, als er sich auf Hassan warf und ihn zu Fall brachte. Wali und Kamal folgten. Ich biss mir in die Faust. Schloss die Augen.
    Eine Erinnerung:
    Wusstest du, dass ihr, Hassan und du, von derselben Brust getrunken habt? Wusstest du das, Amir Aga? Sakina war ihr Name. Sie war eine hellhäutige, blauäugige Hazara-Frau aus Bamiyan, und sie hat dir alte Hochzeitslieder vorgesungen. Es heißt, es bestehe eine Brüderlichkeit zwischen Menschen, die von derselben Brust getrunken haben. Wusstest du das?
    Eine Erinnerung:
    »Eine Rupie für jeden, Kinder. Nur eine Rupie für jeden, und ich werde den Vorhang der Wahrheit für euch zur Seite schieben.« Der alte Mann lehnt mit dem Rücken an einer Lehmmauer. Seine blinden Augen gleichen zwei tiefen Kratern, angefüllt mit geschmolzenem Silber. Uber seinen Stock gebeugt, lässt der Wahrsager eine knotige Hand über die Oberfläche seiner eingefallenen Wangen gleiten. Hält uns die hohle Hand hin. »Eine Rupie für jeden ist doch für die Wahrheit nicht zu viel verlangt?« Hassan lässt eine Münze in die lederne Handfläche fallen. Ich folge seinem Beispiel. »Im Namen Allahs, überaus wohltätig, überaus gnädig«, flüster t der alte Wahrsager. Er ergreift zuerst Hassans Hand, lässt seinen hornartigen Fingernagel über dessen Handfläche kreisen, immer und immer wieder. Dann schwebt der Finger zu Hassans Gesicht hinauf und verursacht ein trockenes, kratzendes Geräusch, als er langsam der Wölbung seiner Wangen folgt, dem Umriss seiner Ohren. Die schwielige Haut seiner Fingerspitzen streicht über Hassans Augen. Die Hand erstarrt. Verharrt dort. Das
    Gesicht des alten Mannes verdüstert sich. Hassan und ich schauen uns an. Der alte Mann nimmt Hassans Hand und legt die Rupie zurück in dessen Handfläche. Er wendet sich mir zu. »Was ist mit dir, junger Freund?«, sagt er. Auf der anderen Seite der Mauer kräht ein Hahn. Der alte Mann greift nach meiner Hand, und ich ziehe sie weg.
    Ein Traum:
    Ich habe mich in einem Schneesturm verirrt. Der Wind pfeift, bläst mir das stechende Schneegestöber in die Augen. Ich stolpere durch Schichten von sich wandelndem Weiß. Ich rufe um Hilfe, aber der Wind erstickt meine Schreie. Ich falle und liege keuchend im Schnee, verloren im Weiß, und der Wind heult in meinen Ohren. Ich sehe, wie der Schnee meine frischen Fußspuren auslöscht. Jetzt bin ich ein Geist, denke ich, ein Geist, der keine Spuren hinterlässt. Ich rufe wieder, doch die Hoffnung schwindet wie meine Fußspuren. Aber dieses Mal ist da eine gedämpße Antwort. Ich versuche meine Augen vor dem fallenden Schnee zu schützen und schaffe es, mich aufzusetzen. Inmitten des wilden Schneegestöbers entdecke ich eine Bewegung, das Aufblitzen von Farbe. Eine vertraute Gestalt erscheint. Eine Hand streckt sich mir entgegen. Ich erkenne tiefe, parallel verlaufende Schnitte in der Handfläche, aus denen Blut tropfi, das den Schnee rot färbt. Ich ergreife die Hand, und plötzlich ist der Schnee verschwunden. Wir stehen auf einer Wiese mit apfelgrünem Gras, über uns ziehen zarte

Weitere Kostenlose Bücher