Drachenläufer
Schultern und die Andeutung dunkler Ringe unter den hellbraunen Augen. Der Wind fuhr durch sein nussbraunes Haar. Er blickte zu mir auf, und wir lächelten einander zu.
Dann schrie ich, und alles war Farbe und Klang, alles lebendig und gut. Ich schlang meinen freien Arm um Hassan, und wir sprangen auf und ab, lachten und weinten zugleich.
»Du hast gewonnen, Amir Aga! Du hast gewonnen!«
»Wir haben gewonnen! Wir beide!«, war alles, was ich sagen konnte. Das hier geschah nicht wirklich. Im nächsten Moment würde ich blinzelnd die Augen öffnen und aus diesem wundervollen Traum erwachen, aus dem Bett klettern und in die Küche hinuntermarschieren, um mich allein an den Frühstückstisch zu setzen, nur Hassan um mich herum, mit dem ich reden konnte. Mich anziehen. Auf Baba warten. Aufgeben. In mein altes Leben zurückkehren. Dann erblickte ich Baba auf unserem Dach. Er stand ganz am Rand, reckte beide Fäuste in die Höhe. Schrie. Klatschte. Und dieser Moment, in dem ich Baba dort oben auf dem Dach sah, endlich einmal von Stolz auf seinen Sohn erfüllt, war für mich der größte Moment meiner bisherigen zwölf Lebensjahre.
Aber jetzt machte er etwas anderes, begann auf eine dringliche Weise zu gestikulieren. Ich begriff. »Hassan, wir ...«
»Ich weiß«, unterbrach der mich und löste unsere Umarmung. »Inshallah, wir werden später feiern. Jetzt werde ich diesen blauen Drachen für dich erlaufen«, sagte er. Er ließ die Spule fallen und rannte davon. Der Saum seines grünen chapan schleifte hinter ihm durch den Schnee.
»Hassan!«, rief ich. »Bring ihn mir!«
Er war bereits fast um die Straßenecke gebogen. Seine Gummistiefel ließen den Schnee in die Höhe spritzen. Er blieb abrupt stehen, drehte sich um und formte mit den Händen einen Trichter um seinen Mund. »Für dich - tausendmal!«, rief er. Dann schenkte er mir sein Hassan-Lächeln und verschwand um die Ecke. Das nächste Mal sah ich ihn sechsundzwanzig Jahre später auf einem verblassten Polaroidfoto so unerschrocken lächeln.
Ich begann die Schnur meines Drachens einzuholen, als die ersten Leute auf mich zueilten, um mir zu gratulieren. Ich schüttelte Hände und bedankte mich. Die jüngeren Kinder blickten mich mit einem ehrfurchtsvollen Glitzern in den Augen an. Ich war ein
Held. Hände klopften mir auf den Rücken, zausten mein Haar. Ich zog an der Schnur und erwiderte jedes Lächeln, aber in Gedanken war ich bei dem blauen Drachen.
Endlich hielt ich meinen eigenen Drachen in der Hand. Ich wickelte die lose Schnur, die sich zu meinen Füßen angesammelt hatte, um die Spule, schüttelte noch ein paar Hände und trabte nach Hause. Als ich an dem schmiedeeisernen Tor ankam, wartete Ali auf der anderen Seite. Er streckte die Hand durch die Gitterstäbe. »Herzlichen Glückwunsch«, sagte er.
Ich reichte ihm den Drachen und die Spule, schüttelte seine Hand. »Tashakkor, Ali jan.« »Ich habe die ganze Zeit für euch gebetet.« »Dann bete weiter. Wir sind noch nicht fertig.«
Ich eilte auf die Straße zurück. Ich fragte Ali nicht nach Baba. Ich wollte ihn noch nicht sehen. Ich hatte den Plan bereits fertig im Kopf. Ich würde mich großartig in Szene setzen: der Held, der mit der wertvollen Trophäe in den blutigen Händen durch die Tür tritt. Köpfe würden sich drehen und Blicke einander begegnen. Röstern und Suhrab, die sich abschätzend betrachten. Ein dramatischer Moment der Stille. Dann würde der alte Krieger auf den jungen zugehen, ihn umarmen, ihn anerkennen. Rehabilitation. Rettung. Erlösung. Und dann? Nun ... von nun an lebten sie natürlich glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Was sonst?
Die Straßen im Wazir-Akbar-Khan-Viertel waren nummeriert und rasterförmig angeordnet wie ein Gitter. Es war damals noch ein neues Viertel, das sich erst im Aufbau befand, und in jeder Straße gab es leere Grundstücke und halb fertige Häuser zwischen von zweieinhalb Meter hohen Mauern umgebenen Wohnkomplexen. Auf der Suche nach Hassan rannte ich jede Straße hinauf und hinunter. Uberall waren die Menschen damit beschäftigt, Stühle zusammenzuklappen und nach einem langen Tag des Feierns Essensreste und Utensilien einzupacken. Einige, die immer noch auf ihren Dächern saßen, riefen mir Glückwünsche zu.
Vier Straßen südlich der unseren erblickte ich Omar, den Sohn eines Ingenieurs, der zu Babas Freunden gehörte. Er spielte mit seinem Bruder auf dem Rasen vor dem Haus Fußball. Omar war eigentlich ein prima Kerl. Wir
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