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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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Dächern hüllten sich nun alle in Schals und dicke Mäntel. Es war nurmehr ein halbes Dutzend Drachen übrig, doch meiner war immer noch dabei. Meine Beine schmerzten, und mein Nacken war ganz steif. Aber mit jedem besiegten Drachen wuchs die Hoffnung in meinem Herzen wie Schnee, der sich auf einer Mauer sammelt, Flöckchen um Flöckchen.
    Meine Augen kehrten immer wieder zu dem blauen Drachen zurück, der in der letzten Stunde so viel Schaden angerichtet hatte.
    »Wie viele hat er runtergeholt?«, fragte ich.
    »Ich habe elf gezählt«, antwortete Hassan.
    »Weißt du, wem er gehören könnte?«
    Hassan schnalzte mit der Zunge und neigte das Kinn. Es war eine typische Hassan-Geste und bedeutete, dass er keine Ahnung hatte. Der blaue Drachen schnitt einen großen lilafarbenen und vollführte zwei Loopings. Zehn Minuten später hatte er zwei weitere geschnitten und damit Horden von Drachenläufern in Bewegung versetzt.
    Nach einer weiteren halben Stunde waren nur noch vier Drachen übrig. Und meiner flog immer noch. Es war, als könnte ich gar keine falsche Bewegung machen, als bliese jede Windbö nur zu meinen Gunsten. Ich hatte noch nie das Gefühl gehabt, derart die Kontrolle über etwas zu besitzen, war noch nie so glücklich gewesen. Es war ein berauschendes Gefühl. Ich wagte nicht, zum Dach hinaufzublicken. Wagte nicht, meine Augen vom Himmel zu nehmen. Ich musste mich konzentrieren, geschickt vorgehen. Nach einer weiteren Viertelstunde war das, was am Morgen noch wie ein lächerlicher Traum ausgesehen hatte, Wirklichkeit geworden: Da waren nur noch ich und der andere Kerl. Der mit dem blauen Drachen.
    Die Luft bebte vor Spannung wie die Glasschnur, die ich mit meinen blutigen Händen hielt. Die Leute stampften mit den Füßen, klatschten in die Hände, pfiffen und riefen: »Boboresh! Boboresh!« - Schneide ihn! Schneide ihn! Ich fragte mich, ob Babas Stimme auch darunter war. Musik dröhnte. Der Duft von gedünsteten mantu und ausgebackenem pakora zog von Dächern und geöffneten Türen herüber.
    Doch alles, was ich hörte - was ich mich zu hören zwang -, war das Pochen des Blutes in meinem Kopf. Alles, was ich sah, war der blaue Drachen. Alles, was ich roch, war Sieg. Rettung. Erlösung. Wenn Baba sich irrte und es wirklich einen Gott gab, wie in der Schule behauptet wurde, dann würde Er mich gewinnen lassen. Ich hatte keine Ahnung, um was der andere Kerl spielte, vielleicht ging es ihm ja nur um Angeberei. Aber das hier war meine einzige Chance, zu jemandem zu werden, den die Leute wirklich ansahen und nicht bloß wahrnahmen, dem sie tatsächlich zuhörten und nicht bloß seiner Stimme lauschten. Wenn es Gott wirklich gab, würde Er die Winde lenken, sie zu meinem Vorteil wehen lassen, damit ich mich mit einem einzigen Reißen meiner Schnur von all meinem Schmerz, all meiner Sehnsucht losschneiden konnte. Ich hatte zu lange durchgehalten, war zu weit gekommen. Und plötzlich, einfach so, wurde aus der Hoffnung Gewissheit. Ich würde gewinnen. Es war nur eine Frage der Zeit.
    Und es geschah schneller als erwartet. Eine Windbö hob meinen Drachen, und ich nutzte den Vorteil. Gab ihm Schnur, ließ ihn steigen, brachte ihn mit einem Schlenker über dem blauen in Stellung. Und hielt diese Position. Der Besitzer des blauen Drachens wusste, dass er in Schwierigkeiten steckte. Er versuchte verzweifelt, sich aus der Klemme herauszumanövrieren, aber ich gab nicht nach. Ich hielt meine Position. Die Menge spürte, dass das Ende bevorstand. Der Chor der »Schneide ihn! Schneide ihn!«-Rufe wurde lauter, wie bei den Römern, wenn sie ihre Gladiatoren zum Töten anfeuerten.
    »Du hast es beinahe geschafft, Amir Aga! Beinah geschafft!«, keuchte Hassan.
    Dann kam der Moment. Ich schloss die Augen und lockerte den Griff um die Schnur. Sie schnitt mir wieder in die Finger, als der Wind daran zerrte. Und dann ... Ich musste gar nicht erst das Gebrüll der Menge hören, um es zu wissen. Ich musste es auch nicht sehen. Hassan schrie, und er schlang mir den Arm um den Hals. »Bravo! Bravo, Amir Aga!«
    Ich öffnete die Augen, sah, wie sich der blaue Drache wild drehte, wie ein Rad, das sich von einem fahrenden Auto gelöst hat. Ich blinzelte, versuchte, etwas zu sagen. Kein Laut kam heraus. Plötzlich schwebte ich, blickte von oben auf mich selbst herab. Schwarzer Ledermantel, roter Schal, ausgebleichte Jeans. Ein magerer Junge, etwas bleich und ein bisschen zu klein geraten für seine zwölf Jahre. Er hatte schmale

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