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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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meiner Lider, wie Hände, die Schattenspiele auf einer Wand veranstalteten. Die Formen bewegten sich, schlängelten sich, flössen zusammen und formten ein einziges Bild: Hassans Cordhose, die achtlos hingeworfen auf einem Haufen alter Ziegelsteine in einer Gasse lag.
    Kaka Homayouns weißes zweistöckiges Haus in Jalalabad hatte einen Balkon, von dem aus man auf einen großen, von Mauern umgebenen Garten mit Apfel- und Persimonenbäumen blickte. Es gab dort Hecken, die der Gärtner im Sommer zu Tierfiguren schnitt, und einen Swimmingpool mit smaragdgrünen Fliesen. Ich saß am Rande des Pools, der bis auf eine matschige Schneeschicht unten am Boden leer war, und ließ die Füße baumeln. Kaka Homayouns Kinder spielten am anderen Ende des Gartens Verstecken. Die Frauen kochten, und ich konnte schon die gebratenen Zwiebeln riechen, konnte das Pffi Pffi des Druckkochtopfes hören, dazu Musik und Lachen. Baba, Rahim Khan, Kaka Homayoun und Kaka Nader saßen auf dem Balkon und rauchten. Kaka Homayoun erzählte ihnen, dass er den Projektor mitgebracht habe, um ihnen die Frankreich-Dias zu zeigen. Zehn Jahre waren seit seiner Rückkehr aus Paris vergangen, und er zeigte immer noch diese dämlichen Dias.
    Ich war ungerecht. Baba und ich waren endlich Freunde. Vor ein paar Tagen waren wir im Zoo gewesen, hatten uns Marjan, den Löwen, angesehen, und ich hatte einen Kiesel nach dem Bären geworfen, als niemand hinschaute. Hinterher waren wir in Dadkhodas Kebab-Haus gegangen, das auf der anderen Seite des Park-Kinos lag, und hatten Lamm-Kebab mit frisch gebackenem naan aus dem tandoor-Ofen gegessen. Baba hatte mir Geschichten von seinen Reisen nach Indien und Russland erzählt, von den Leuten, die er dort getroffen hatte, wie das Ehepaar ohne Arme und Beine aus Bombay, das siebenundvierzig Jahre verheiratet war und elf Kinder großgezogen hatte. Eigentlich hätte es Spaß machen sollen, einen Tag auf diese Weise mit Baba zu verbringen, seinen Geschichten zu lauschen. Endlich war es so, wie ich es mir all die Jahre gewünscht hatte. Bloß dass ich mir jetzt, wo es so war, leer vorkam wie der vernachlässigte Swimmingpool, in den ich meine Beine baumeln ließ.
    Die Ehefrauen und Töchter servierten bei Sonnenuntergang Reis, kqfta und Hühner- qurma. Wir speisten auf traditionelle Weise, saßen auf Kissen, die im Raum verteilt lagen, hatten das Tischtuch auf dem Boden ausgebreitet und aßen in Gruppen von vier oder fünf mit den Händen von einfachen Tellern. Ich war nicht hungrig, setzte mich aber trotzdem hin, um mit Baba, Kaka Faruq und Kaka Homayouns beiden Jungen zu essen. Baba, der vor dem Essen ein paar Gläser Scotch getrunken hatte, schwadronierte immer noch über das Drachenturnier, wie ich länger durchgehalten hatte als alle anderen, wie ich mit dem letzten Drachen nach Hause gekommen war. Seine dröhnende Stimme beherrschte den Raum. Leute hoben die Köpfe von ihren Tellern, riefen mir Glückwünsche zu. Kaka Faruq klopfte mir mit seiner sauberen Hand auf den Rücken. Ich hätte mir am liebsten ein Messer ins Auge gestoßen.
    Später, weit nach Mitternacht, nachdem Baba und seine Cousins ein paar Stunden Poker gespielt hatten, legten sich die Männer im selben Zimmer, wo wir zu Abend gegessen hatten, auf Matratzen nieder. Die Frauen gingen nach oben. Eine Stunde später konnte ich immer noch nicht schlafen. Ich wälzte mich hin und her, während meine Verwandten im Schlaf grunzten und seufzten und schnarchten. Ich setzte mich auf. Ein Streifen Mondlicht schien durch das Fenster.
    »Ich habe zugesehen, wie Hassan vergewaltigt wurde«, sagte ich in das Zimmer hinein. Baba bewegte sich im Schlaf. Kaka Homayoun grunzte. Ein Teil von mir hoffte, dass jemand aufwachen und mich hören würde, damit ich nicht länger mit der Lüge leben musste. Aber niemand erwachte, und in der Stille, die folgte, begriff ich das Wesen meines neuen Fluchs: Ich würde ungeschoren davonkommen.
    Ich dachte über Hassans Traum nach, den, in dem wir beide im See geschwommen waren. Es gibt keine Ungeheuer, hatte er gesagt, nur Wasser. Aber da hatte er sich getäuscht. Es gab sehr wohl ein Ungeheuer im See. Es hatte Hassan an den Fußknöcheln gepackt und ihn auf den trüben Grund hinuntergezogen. Ich war das Ungeheuer.
    Das war die Nacht, in der meine Schlaflosigkeit begann.
    Hassan sprach ich erst in der Mitte der darauffolgenden Woche wieder. Ich hatte mein Mittagessen zur Hälfte aufgegessen, und Hassan spülte. Ich war schon halb die Treppe

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