Drachenläufer
hinauf, um auf mein Zimmer zu gehen, als Hassan fragte, ob ich Lust hätte, mit auf den Hügel zu kommen. Ich antwortete, dass ich müde sei. Hassan sah auch müde aus - er hatte abgenommen, und dunkle Ringe lagen unter seinen geschwollenen Augen. Aber als er erneut fragte, stimmte ich widerstrebend zu.
Wir mühten uns den Hügel hinauf; unsere Stiefel stapften durch den matschigen Schnee. Keiner von uns sagte ein Wort. Wir setzten uns unter unseren Granatapfelbaum, und ich wusste, dass ich einen Fehler begangen hatte. Ich hätte ihn nicht auf den Hügel begleiten sollen. Die Worte, die ich mit Alis Küchenmesser in den Stamm geritzt hatte - Amir und Hassan, die Sultane von Kabul... ich ertrug es einfach nicht, sie zu sehen.
Er bat mich, ihm aus dem Shahname vorzulesen, und ich erklärte ihm, dass ich meine Meinung geändert hätte. Erklärte ihm, dass ich lieber auf mein Zimmer gehen würde. Er blickte zur Seite und zuckte mit den Schultern. Wir gingen auf dieselbe Weise hinunter, wie wir heraufgekommen waren: schweigend. Und zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich es kaum erwarten, dass der Frühling kam.
Der Rest meiner Erinnerung an den Winter des Jahres 1975 ist ziemlich vage. Ich weiß noch, dass ich froh war, wenn sich Baba zu Hause aufhielt. Wir aßen zusammen, gingen ins Kino, besuchten Kaka Homayoun oder Kaka Faruq. Manchmal kam Rahim Khan zu Besuch, und Baba erlaubte mir, mit ihnen im Arbeitszimmer zu sitzen und Tee zu trinken. Ab und zu durfte ich ihm sogar eine von meinen Geschichten vorlesen. Es war toll, und ich glaubte sogar, dass es so bleiben würde. Und Baba glaubte es vielleicht auch. Aber wir hätten es beide besser wissen müssen. Zumindest für ein paar Monate gaben wir beide uns nach dem Drachenturnier einer schönen Illusion hin, sahen einander in einem völlig neuen Licht. Wir bildeten uns tatsächlich ein, dass ein Spielzeug aus Seidenpapier, Leim und Bambus in der Lage sein könnte, die Kluft zwischen uns zu überbrücken.
Aber wenn Baba weg war - und er war ziemlich oft weg -, vergrub ich mich in meinem Zimmer. Ich las alle paar Tage ein Buch, schrieb Geschichten, lernte, wie man Pferde zeichnete. Morgens hörte ich Hassan in der Küche herumschlurfen, hörte das Klirren des Tafelsilbers, das Pfeifen des Teekessels. Ich wartete dann immer, bis ich vernahm, wie die Tür zuschlug, und ging erst danach hinunter, um zu frühstücken. Auf meinem Kalender zeichnete ich einen dicken Kreis um das Datum des ersten Schultages und begann die Tage bis dahin zu zählen.
Zu meiner Bestürzung versuchte Hassan immer wieder, die Dinge zwischen uns aufleben zu lassen. Ich erinnere mich noch an das letzte Mal. Ich war in meinem Zimmer, las gerade in einer Farsi-Ubersetzung des Ivanhoe, als er an die Tür klopfte.
»Was ist denn?«
»Ich gehe zum Bäcker, um naan zu kaufen«, sagte er von der anderen Seite. »Ich wollte fragen, ob du ... ob du Lust hättest mitzukommen?«
»Ich glaube, ich lese lieber«, erwiderte ich und rieb mir die Schläfen. In letzter Zeit bekam ich in Hassans Nähe immer Kopfschmerzen.
»Es ist ein sonniger Tag«, sagte er.
»Das sehe ich.«
»Ein Spaziergang würde vielleicht Spaß machen.« »Geh nur.«
»Ich fände es aber besser, wenn du mitkommen würdest«, sagte er. Verstummte. Etwas bumste gegen die Tür. Vielleicht seine Stirn. »Was habe ich denn nur getan, Amir Aga? So sag es mir doch. Warum spielen wir denn nicht mehr zusammen?«
»Du hast gar nichts getan, Hassan. Geh einfach.«
»Wenn du es mir sagst, höre ich damit auf.«
Ich vergrub den Kopf in meinem Schoß, drückte die Knie wie einen Schraubstock gegen meine Schläfen. »Ich werde dir sagen, womit du aufhören sollst«, murmelte ich mit zusammengepressten Lidern.
»Nur zu. Ich werde es tun.«
»Ich möchte, dass du aufhörst, mich zu belästigen. Ich möchte, dass du weggehst«, rief ich. Wenn er es mir doch nur mit gleicher Münze heimgezahlt, die Tür aufgebrochen und mich beschimpft hätte - dann wären die Dinge leichter, besser geworden. Aber er tat nichts dergleichen, und als ich die Tür Minuten später öffnete, war er nicht mehr da. Ich ließ mich auf das Bett fallen, vergrub meinen Kopf unter dem Kissen und weinte.
Danach existierte Hassan für mich nur noch am Rande meines Lebens. Ich sorgte dafür, dass sich unsere Wege so wenig wie möglich kreuzten, richtete meine Tage entsprechend ein. Denn wenn er in der Nähe war, wurde die Luft im Raum knapp. In meiner Brust wurde es eng, und
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