Drachenläufer
schneiden, mich um die Blumen zu kümmern, alles zu reparieren, was repariert werden musste, aber schon damals war ich kein junger Mann mehr.
Dennoch, ich hätte es vielleicht schaffen können. Zumindest noch für eine Weile. Aber als mich dann die Nachricht vom Tode deines Vaters erreichte ... da verspürte ich zum ersten Mal eine schreckliche Einsamkeit in diesem Haus. Eine schreckliche Leere.
Und so füllte ich eines Tages den Tank des Buick und fuhr in den Hazarajat hinauf. Ich wusste noch, dass mir dein Vater nach Alis Entlassung erzählt hatte, dass die beiden in ein kleines Dorf in der Nähe von Bamiyan gezogen waren. Ali hatte dort einen Cousin. Ich hatte keine Ahnung, ob Hassan immer noch bei ihm lebte oder ob irgendjemand etwas über seinen Verbleib wissen würde. Immerhin waren zehn Jahre vergangen, seit Ali und Hassan das Haus deines Vaters verlassen hatten. Hassan war 1986 ja schon ein erwachsener Mann von zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig Jahren - wenn er noch lebte, was ich damals nicht wusste. Die Shorawi - mögen sie in der Hölle schmoren für das, was sie unserem watan angetan haben - hatten so viele unserer jungen Männer umgebracht. Aber das muss ich dir ja nicht sagen.
Doch mit Gottes Hilfe habe ich ihn gefunden. Es war gar nicht so schwer; ich musste nichts weiter tun, als in Bamiyan einige Fragen stellen, und die Leute wiesen mir den Weg zu seinem Dorf. Ich weiß nicht einmal mehr, wie es hieß oder ob es überhaupt einen Namen hatte. Aber ich weiß noch, dass es ein glühend heißer Sommertag war und ich über eine zerfurchte, unbefestigte Straße fuhr, und rechts und links von mir war nichts außer ausgedörrten Büschen, knorrigen, dornigen Baumstämmen und vertrocknetem Gras. Ich führ an einem toten Maultier vorbei, das neben der Straße verweste. Und dann sah ich mit einem Mal mitten in diesem kargen Land eine Ansammlung von Lehmhütten vor mir, und dahinter nichts weiter als den weiten Himmel und Berge, die gezackten Zähnen ähnelten.
Die Leute in Bamiyan hatten mir gesagt, dass er leicht zu finden sei - er lebte in dem einzigen Haus im Dorf, dessen Garten eine Mauer besaß. Die niedrige pockennarbige Lehmmauer umschloss auch ein winziges Haus, das im Grunde nicht mehr war als eine bessere Hütte. Barfüßige Kinder spielten auf der Straße, schlugen mit Stöcken nach einem zottigen Tennisball, und sie starrten zu mir herüber, als ich angefahren kam und den Motor abstellte. Ich klopfte an die Holztür und betrat den Garten, in dem es außer einem verdorrten Erdbeerbeet und einem kahlen Zitronenbaum sehr wenig gab. In einer Ecke, im Schatten einer Akazie, befand sich ein tandoor-Ofen, neben dem ein Mann hockte. Er war damit beschäftigt, Teigstücke, die er vorher gegen die Wände des tandoor schlug, auf einen großen Holzschieber zu legen. Als er mich sah, ließ er den Teig, den er gerade in der Hand hielt, fallen. Ich musste ihn fast zwingen, damit aufzuhören, mir die Hände zu küssen.
»Lass dich ansehen«, sagte ich. Er trat einen Schritt zurück. Er war inzwischen so groß -wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte, reichte ich ihm trotzdem nur bis zum Kinn. Die Sonne hier draußen hatte seine Haut gegerbt und sie um etliches dunkler gefärbt, als ich es in Erinnerung hatte. Außerdem fehlten ihm mehrere Vorderzähne. An seinem Kinn wuchsen spärliche Haarstoppeln. Aber ansonsten hatte er immer noch dieselben schmalen grünen Augen, die Narbe an der Oberlippe, das runde Gesicht, dieses freundliche Lächeln. Du hättest ihn erkannt, Amir jan. Da bin ich mir sicher.
Wir gingen hinein. In einer Ecke des Raumes saß eine junge hellhäutige Hazara-Frau, die an einem Tuch nähte. Sie war offensichtlich schwanger. »Das hier ist meine Frau, Rahim Khan«, sagte Hassan stolz. »Ihr Name ist Farzana jan.« Sie war eine schüchterne Frau, sehr höflich. Sie sprach mit einer Stimme, die kaum lauter als ein Flüstern war, und sie wagte es nicht, ihre hübschen haselnussbraunen Augen zu heben, um meinem Blick zu begegnen. Aber so, wie sie Hassan anschaute, hätte er auch genauso gut im Arg auf dem Thron sitzen können.
»Wann kommt das Baby denn?«, fragte ich, nachdem wir in dem Raum aus ungebrannten Lehmziegeln Platz genommen hatten. Es gab kaum etwas darin, bloß einen durchgescheuerten Teppich, etwas Geschirr, zwei Matratzen und eine Laterne.
»Inshallah, diesen Winter«, erwiderte Hassan. »Ich bete um einen Jungen, der den Namen meines Vaters fortführen kann.«
»Wo wir
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