Drachenlanze - Das Mädchen mit dem Schwert
nie
sagen, wie lange ihre plötzlichen Trancen dauern würden. Kits
Stiefvater betrachtete seine Frau inzwischen mit mehr und
mehr Kummer, denn die sanfte Frau, die er einmal geliebt
hatte, war einer unberechenbaren Fremden gewichen.
Heute war sein Lager leer und Gilon schon fort. Seit der
Geburt der Zwillinge war er zu selten in den Wald gegangen.
Der Haushalt konnte es schlecht verkraften, wenn sowohl sein
Lohn als auch die mageren Beträge ausblieben, die Rosamund
mit Nähen und Flicken verdient hatte. Kit hatte Gilon
gegenüber darauf bestanden, sich voll und ganz der Pflege der
Zwillinge zu widmen, wenn er wieder arbeiten ging.
Bei Caramon war das einfach. Solange man seine Windel
nicht zu naß werden ließ, ging es ihm gut. Laut, rastlos, ständig
hungrig, aber gesund.
Mit Raistlin war es anders. Kit mußte ihn genau beobachten,
auf sein Atmen hören und ihn dazu bringen, daß er aß. Das
kleine Mädchen fand diese Pflichten nicht annähernd so
erschöpfend wie die Zeit, in der sie an das Kind dachte und
Raistlin inständig aufforderte, doch endlich stärker zu werden.
Als sie heute ans Frühstückmachen ging, hörte Kit ein leises
Geräusch und sah sich um. Zu ihrer Überraschung stand
Rosamund – wacklig, aber sie stand – auf der Schwelle zu
ihrem Raum. Wenn Kit ihr nicht in die Augen gesehen hätte,
hätte sie glauben können, es ginge ihrer Mutter gut. Aber
Rosamunds Augen waren verschwommen und blicklos.
Als Gilon eine Weile vor der Dämmerung heimkam,
begrüßte Kitiara ihn an der Tür. Sie waren übereingekommen,
daß Kit bei seiner Rückkehr auf der Stelle aus der engen Hütte
fliehen durfte. Anstatt sich gleich zum Abendessen
hinzusetzen, spielte die Achtjährige bis zur völligen
Dunkelheit. Meistens übte sie Fechten, und zwar so versunken,
als wollte sie ihr ganzes Kindsein in die wenigen Stunden
zwängen.
»Mutter ist heute viel im Haus herumgelaufen«, berichtete
Kit Gilon heute, während sie sich zum Gehen fertig machte.
»Ich mußte sie einmal am Bett festbinden.«
Gilon zog überrascht die Augen hoch und schaute dann in
den kleinen Nebenraum. In ihrem fleckigen Nachthemd saß
Rosamund in der Ecke im Schaukelstuhl und bewegte die
Hände, als würde sie stricken, doch sie hatte weder Nadeln
noch Wolle.
»Ich weiß nicht, was die Zwillinge von ihrer Mutter denken,
aber sie hat sie überhaupt nicht beachtet«, erzählte Kit Gilon
mit einer gewissen Befriedigung, bevor sie in den warmen
Sommerabend hinausschoß.
Als die Zwillinge sechs Wochen alt waren, kam Kitiara
abends nach dem Spielen nach Hause und fand Rosamund am
Küchentisch sitzend vor, wo sie Raistlin auf dem Arm hatte
und Caramon in seiner Wiege etwas vorsang. Obwohl Gilon ihr
bestimmt geholfen hatte, zu baden und sich anzuziehen, sah
Kits Mutter nach der wochenlangen Krankheit immer noch aus
wie ein Geist. Doch ihr Gesicht strahlte genauso wie das von
Gilon, der daneben stand und die Szene mit freudigem Stolz
betrachtete.
Rosamund wandte sich von den Zwillingen ab, als sie Kit in
der Tür hörte, und winkte ihre Tochter warmherzig heran. Sie
legte Raistlin in seine Wiege, damit sie dem Mädchen ihre
blaugeäderten Hände auf die kräftigen Schultern legen konnte.
Rosamund versuchte, Kit an sich zu drücken, doch ihre Tochter
wich zurück.
»Ich möchte mich bei dir bedanken für alles, was du getan
hast. Gilon sagt, du warst… unentbehrlich«, sagte Rosamund
mit einem Blick auf das rabenhaarige, kleine Mädchen, der
sowohl Liebe als auch Unsicherheit ausdrückte.
Kitiara sah auf den Boden, denn ihre eigenen Gefühle, die
zugleich dankbar und trotzig waren, verwirrten sie.
Rosamund stand auf und schlang ihre dünnen Arme
ungeschickt um ihre Tochter. Kit blieb starr stehen, lief aber im
gleichen Moment zur Tür, als sie merkte, daß ihre Mutter sie
losließ.
Rosamund sank erschöpft auf ihren Stuhl zurück, während
Gilon sprungbereit daneben stand, ohne zu wissen, was er
sagen sollte. Rosamunds Augen füllten sich mit Tränen,
während sie ihrer Tochter nachsah, die in die Sommernacht
zurückrannte.
»Dein Vater wäre stolz auf dich«, flüsterte Rosamund Kits
verschwindender Gestalt nach.
Kapitel 3
Fest des Roten Mondes
Dank Gilon hatten sie immer genug langbrennende
Eichenscheite, die sie nachts aufs Feuer legen konnten. Aber
gewöhnlich waren die Flammen irgendwann mitten in der
Nacht heruntergebrannt, und besonders in den schlimmsten,
eisigsten Nächten wollte keiner aufstehen und über den
Weitere Kostenlose Bücher