Drachenlanze - Die Erben der Stimme
um und
sagte schlicht: »Tyresians Vater sagte, ihr Tod wäre meine
Schuld.«
Tanis riß die Augen auf. »Wieso?«
Sie schaute auf den Boden und strich plötzlich geschäftig
ihren weiten, grauen Rock glatt. »Er sagte, ich müßte etwas
falsch gemacht haben, bevor er mich wegschicken konnte.«
»Das ist doch absurd«, schalt Flint. Tanis nickte mit
wütender Miene.
Ailea nickte. »Ja, so ist es«, sagte sie ruhig. »Ich habe meine
Schwächen, aber Unfähigkeit gehört nicht dazu.« Sie brachte
Teekanne, Tassen und Teller in die Küche zurück. Flint wollte
ihr helfen und ließ Tanis zurück, der in dem leeren Raum die
Bilder der Kinder betrachtete.
»Als du in meinem Laden warst«, begann Flint in der
Hoffnung, die Unterhaltung noch weiterzuspinnen, obwohl
schon fast Mitternacht war, »da hast du gesagt, du hättest die
Stimme entbunden.«
»Und seine Brüder«, fügte Ailea hinzu. Sie gab Flint eine
Tasse und ein Geschirrtuch, das anscheinend einmal ein
ähnliches Hemd gewesen war wie das, das sie bei ihrem
Besuch bei Flint angehabt hatte. »Warum?«
»Mich interessiert der dritte Bruder.«
»Arelas? Warum?«
»Die Stimme sagte, man hätte Arelas vom Hof
weggeschickt, weil er krank war, aber sie sagte nicht, welche
Krankheit der Bruder hatte. Weißt du es?«
Ailea spülte die Teekanne in einem Eimer mit klarem
Wasser aus einem Brunnen hinter dem Haus. »Ich bin mir nicht
sicher, ob es überhaupt irgend jemand weiß. Es ging ihm gut,
solange er klein war, aber um die Zeit, als er laufen lernte, hm,
da hat er sich verändert.«
Flint blickte sie unter seinen graumelierten Augenbrauen an.
»Verändert? Wie?«
Eid Aileas Stimme klang wie die einer Person, die oft beim
Kinderhüten Geschichten erzählt. »Eines Tages«, sagte sie,
»gingen er, sein Bruder Kethrenan, seine Mutter und ich zu
einem Picknick in den Hain«, das war das Wäldchen zwischen
dem Sonnenturm und dem Himmelssaal. »Arelas wanderte
herum und ging verloren.«
»Habt ihr ihn wiedergefunden?«
»Zuerst nicht. Wir haben die ganze Gegend durchkämmt,
aber es war, als hätte ihn die Erde verschluckt. Wir fanden
keine Spur.« Sie gab dem Zwerg die Teekanne. »Jemand muß
ihn gefunden haben, aber wir haben nie herausbekommen, wer
das war. Nach drei Tagen vergeblicher Suche, zu der
Solostarans Vater wohl fast jeden Soldaten von Qualinesti
abgeordnet hatte, fand man den kleinen Arelas eines Morgens
schlafend auf dem Moos im Hof des Palasts. Er muß durch das
Gartentor hereingelaufen sein – oder jemand hat ihn an den
Wachen vorbei hereingebracht. Er lag unter einer Decke, die
ihn warm hielt.«
Flint polierte den gehämmerten Kupferkessel ein letztes Mal
und stellte ihn dann auf den Küchentisch. »Danach wurde er
krank?«
»Sehr. Er hatte Fieber, als wir ihn fanden. Tagelang
schwebte er zwischen Leben und Tod. Ich verabreichte alle
Mittel, die ich kannte. Ich verwendete jeden Zauber, den ich
beherrschte, aber ich kann nicht heilen. Ich kann nur
Symptome lindern. Niemand konnte helfen. Schließlich
ordnete die damalige Stimme an, daß Arelas zu einem
Elfenkleriker außerhalb von Qualinost geschickt werden
sollte.«
Flint lehnte sich an eine Anrichte, während Eld Ailea das
Tongefäß, in dem sie abgewaschen hatte, mit klarem Wasser
ausspülte. Das Gespräch schien sie an andere Dinge erinnert zu
haben, denn sie redete weiter, nachdem sie das Gefäß
umgedreht neben Flints Ellbogen gelegt hatte. »Solostaran und
Kethrenan waren vergleichbar leichte Geburten. Aber Arelas…
schon bevor er geboren wurde, war er nicht… richtig. Er lag
einfach nicht richtig in seiner Mutter. Die Geburt hat über
einen Tag gedauert, und ich mußte ihn schließlich mit der
Zange holen, was ich immer zu vermeiden suche. Damals ging
es allerdings gut«, sagte sie gutgelaunt. »Nur ein kleiner
Kratzer am Arm, der schnell geheilt ist. Es gab nur eine kleine
Narbe von der Form eines Sterns. Erinnerte mich an das
Zeichen, das bei manchen Menschenvölkern aus den Ebenen
angeblich die jungen Männern bekommen, wenn diese
erwachsen werden.«
»Jetzt komm, Meister Feuerschmied«, sagte sie knapp und
legte dem Zwerg ihre starken Arme auf die Schultern, um ihn
umzudrehen, »mal sehen, was der kleine Tanthalas anstellt.«
Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück. Tanis stand vor einem
Regal bei der Haustür. »Hast du all diese Porträts gemalt?«
fragte er. Sein rotbraunes Haar streifte sein Lederwams, als er
sich umdrehte.
»Ja, aus der Erinnerung«, sagte Ailea, wobei sie den Zopf
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