Drachenlanze - Die Stunde der Diebe
veränderte sich
Gäsils Gesichtsausdruck. »Jetzt erinnere ich mich! Der Barde!
Der war’s! Er ist gestern abend hergekommen. Der muß mich
auf den Kopf geschlagen und das Armband gestohlen haben.«
»Und warum sollte jemand auf diese Art ein kleines
Kupferarmband klauen? Hier drin gibt es doch bestimmt
Wertvolleres«, meinte Flint wenig überzeugt.
Gäsil sah ihn verächtlich an. »Glaubst du etwa, ich hätte etwas Wertvolleres als ein Armband mit magischen Kräften?
Sieh dich doch um. Alles, was du siehst, ist genau das, wonach
es aussieht.«
»Was für Kräfte?« wollte Flint wissen. »Dieses Armband hat
keine magischen Kräfte. Was redest du denn da?«
Gäsil richtete sich mühsam aus Flints Schoß auf und setzte
sich hin. »Ich weiß wirklich nicht, wie ich es erklären soll.
Plötzlich und ohne Vorwarnung wird es warm – fast heiß-, und
dann weiß man auf einmal etwas, als wenn es einem gerade
eingefallen wäre. Man hat es bloß vorher nicht gewußt, weil es
nämlich noch gar nicht passiert ist! Es ist ganz komisch.«
»Du meinst, man halluziniert?« fragte Tanis verwirrt.
Gäsil schüttelte den Kopf. »Nein… oder vielleicht so
ähnlich. Ich meine, es ist wie eine Erinnerung, nur weiß man,
daß es etwas ganz Neues ist. Manchmal ist es wie eine Vision,
die man im Geiste wahrnimmt. Manchmal ist es lang, dann
wieder nur ein einfaches Bild oder ein Gedanke. Aber was es
auch ist, kurz nachdem man es gesehen hat, passiert es auch.«
»Das Armband, das ich gemacht habe, kann die Zukunft
vorhersagen? Pah!« Flint rümpfte die Nase. Angesichts eines
so lächerlichen Gedankens verdrehte er die Augen.
»Doch, bestimmt«, rief Tolpan von der Tür her. Er war mit
Wasser zurückgekehrt und am Eingang zum Zuhören
stehengeblieben. «Hei, Gäsil. Das mit deinem Kopf tut mir
aber leid. Aber mir ist das gleiche passiert – in die Zukunft
sehen, meine ich. Einmal sah ich eine Spinne in meinem Sack,
bevor ich ihn überhaupt aufgemacht hatte. Das war wirklich
praktisch. Und dann war da dieser häßliche kleine Zwischenfall
mit den Hobgoblins…« Rasch erzählte Tolpan Tanis und Flint,
was geschehen war, als er vor seiner Begegnung mit dem
Kesselflicker das Armband getragen hatte.
Flint war immer noch skeptisch. »Du bist der letzte, dem ich
einen solchen Unsinn glauben würde, Kender.«
»Moment mal, Flint«, sagte Tanis wieder, während er sich
am Kinn kratzte. »Hast du nicht gesagt, diese Frau – Selana hätte dir bestimmte Zutaten und Bestandteile gegeben, die du
in das Metall einschmelzen solltest? Dinge, die dir völlig
unbekannt waren? Du hast selbst gesagt, daß sie sehr
geheimnisvoll getan hat und über sich selbst nichts verraten
hat. Das würde erklären, warum sie so großzügig gezahlt hat.«
Flint konnte das Offensichtliche nicht länger leugnen. Er
setzte sich hin und stützte den Kopf in beide Hände. »Was
mach ich jetzt? Es war schon schlimm genug, als ich dachte,
ich hätte ein gewöhnliches Armband verloren. Aber wenn das
Ding das kann, was ihr von ihm behauptet, dann wird sich
Selana noch mehr über seinen Verlust aufregen.«
»Eine Frau, sagst du?« fragte Gäsil. »Eine merkwürdige Frau
mit blasser Haut und unwahrscheinlich blaugrünen Augen hat
gestern am Stand nach dir gefragt. Sie schien ganz verstört, als
ich ihr sagte, daß du fort wärst.«
»Oh, Götter, das ist sie!« stöhnte Flint und raufte sich die
grauen Haare. »Ich muß dieses Armband einfach
wiederbekommen, bevor sie mich findet!« Er fuhr zu Gäsil
herum. »Hat sie gesagt, wo sie abgestiegen ist? Ob sie
zurückkommen würde? Sah sie verärgert aus?«
»Denk nicht an sie«, sagte Tanis. »Wie willst du denn das
Armband finden, wenn es von jemandem gestohlen wurde, den
wir nicht einmal verfolgen können, weil wir ihn gar nicht
kennen?«
»Ich bin sicher, daß es der Barde war«, beharrte Gäsil. »Und
ich fürchte, ich bin da selber schuld.« Mit schamrotem Gesicht
berichtete der Kesselflicker alles, was ihm noch von seiner
Unterhaltung mit dem Erzähler einfiel, und auch, wie der
aussah.
»Es kann doch nicht schwer sein, jemanden zu finden, der
den Namen Delbridge Fidington trägt«, staunte Tolpan.
»Es ist fast unmöglich«, jammerte Flint, »wenn wir nicht
wissen, welche Richtung er eingeschlagen hat. Außerdem ist so
ein merkwürdiger Name bestimmt nicht sein richtiger.« Der
Zwerg lief in dem engen Verschlag hin und her, wobei seine
schweren Schritte den Wagen erzittern und die Pfannen und
Werkzeuge an den Wänden
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