Drachenlied
Grunde auch gleichgültig. Fest stand jedoch, dass sie die gleichen Reaktionen zeigten wie Drachen,
wenn man sie gemäß den Weyrregeln behandelte. Menolly ihrerseits wurde empfänglich für die Stimmungen und Gefühle der Tiere und versuchte, darauf einzugehen, so gut sie konnte.
Sie wuchsen rasch in jenen ersten Tagen. So rasch, dass Menolly alle Hände voll zu tun hatte, all die hungrigen Schnäbel satt zu bekommen. Von den übrigen Jungech- sen, die sie nach dem Ausschlüpfen nicht selbst gefüttert hatte, sah sie kaum etwas. Nur gelegentlich tauchten ein paar kleinere Tiere auf, wenn der ganze Schwarm bei Ebbe nach Felswürmern suchte. Aber die ältere Königin und ihr Bronzegefährte kreisten oft in der Nähe und beobachteten ihre Schar. Die Königin keifte manchmal auf Menolly ein oder schalt ihre junge Nachfolgerin. Hin und wieder packte sie sogar eines der Kleinen und schüttelte es tüchtig durch. Weshalb, das konnte Menolly nie herausfinden, aber die Jungen schienen sich dem Gezänk der Königin ohne Weiteres zu fügen.
Manchmal bot Menolly auch den fremden Tieren ein paar Brocken an, aber sie nahmen das Futter nur, wenn sie selbst nicht in der Nähe war. Sie empfand das nicht weiter als schlimm. Die neun Echsen, die mit ihr in der Höhle lebten, machten Arbeit genug.
Als sie erstmals merkte, dass ihre kleine Königin eine stumpfe, rissige Haut bekam, überlegte Menolly krampfliaft, woher sie Öl bekommen könnte. Öl, das würden die Tiere alle brauchen, denn Risse in der Haut konnten tödlich sein, wenn sie bei Gefahr ins Dazwischen gingen.
Die nächstliegende »Ölquelle« war wohl das Meer. Aber sie hatte kein Boot, um die tranreichen Tiefseefische zu fangen. So suchte sie entlang der Küste, bis sie einen toten Stachelschwanz fand, den die Flut in der Nacht angespült hatte. Sie öffnete den Kadaver - wobei sie genau darauf achtete,
dass sie das Messer stets weg vom Körper führte - und presste die glitschige Flüssigkeit in eine Tonschale. Nicht gerade eine angenehme Arbeit - und als sie fertig war, hatte sie kaum eine Tasse voll gelbes Öl. Die kleine Königin roch wie ein ranziger Fisch, aber das Öl überdeckte wenigstens die rissigen Hautstellen. Der Gerechtigkeit halber schmierte Menolly auch die anderen Echsen mit dem Zeug ein.
Der Gestank in der Höhle war in dieser Nacht kaum zu ertragen, und ehe sie einschlief, dachte sie lange nach, wie sie diesem Missstand in Zukunft abhelfen könnte. Am Morgen hatte sie einen Entschluss gefasst: Sie wollte den Tran mit bestimmten aromatischen Gräsern aus dem Marschland versetzen. Es gab keine Möglichkeit, an das klare, duftende Öl der Burg heranzukommen; das stammte von Nerat und wurde aus einer Frucht gepresst, die nur in den heißen Regenwäldern gedieh. Und die ölhaltigen Samenkörner der Küstensträucher ließen sich frühestens im Herbst verarbeiten.
Bei Sonnenaufgang machte sich Menolly auf den Weg nach Süden und landeinwärts, in ein Gebiet, das die Bewohner der Halbkreis-Bucht selten aufsuchten, da es zu weit entfernt von der Burg lag. Die kleinen Echsen bildeten eine geflügelte Eskorte.
Menolly wechselte zwischen schnellen Wanderschritten und einem lockeren Lauf. Sie hatte sich vorgenommen weiterzugehen, bis die Sonne am höchsten Punkt stand, und dann umzukehren; sie wollte nicht riskieren, dass die Dunkelheit hereinbrach, ehe sie den Schutz der Höhle erreicht hatte.
Die Feuerechsen hatten sichtlich Spaß an dem Abenteuer. Sie schossen umher, bis Menolly sie ermahnte, ihre Kräfte nicht so zu verschwenden. Hier in den Niederungen fand sie höchstens Beeren und die ersten sauren Pflaumen und davon bekam sie die hungrige Meute kaum satt. Von da an
hingen ihr meist einige der Echsen auf der Schulter oder in den Haaren, bis Menolly ihr Ziepen zu viel wurde und sie alle fortscheuchte.
Bald war sie in völlig unbekanntem Gelände und bewegte sich langsamer, um nicht etwa in ein Sumpfloch zu schlittern. Gegen Mittag war sie weit in das Marschland vorgedrungen und sammelte Beeren für sich, ihre Freunde und ihren Vorratskorb. Sie hatte auch schon einige der aromatischen Gräser gefunden, aber die Menge reichte längst nicht mehr für ihre Zwecke. So beschloss Menolly, in einem weiten Bogen zu ihrer Klippe zurückzukehren, und suchte eben nach dem günstigsten Weg, als sie in der Ferne die Schreie vernahm.
Die kleine Königin hörte sie auch, denn sie flatterte auf Menollys Schulter und gab ihren aufgeregten Kommentar ab.
Menolly
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