Drachenlied
befahl ihr, still zu sein, damit sie hören konnte, woher die Laute kamen, und zu ihrer Verblüffung schwieg die goldene Echse sofort. Auch die anderen verhielten sich ruhig und schienen angespannt zu warten. Menolly erkannte das Angstgeschrei eines wilden Whers.
Sie erklomm eine Hügelkuppe und schaute hinunter in die nächste Moorniederung. Das Tier war mit den Beinen und einem Teil des Körpers im trügerischen Treibsand versackt und schlug aufgeregt mit den Flügeln, ohne sich jedoch aus seiner misslichen Lage befreien zu können.
Ungeachtet der Feuerechsen, die in dem Wher einen Feind erkannten und zu zetern begannen, zog Menolly ihr Messer und rannte los. Der große Vogel hatte Beeren von den Sträuchern am Rande des Schwimmsands gefressen und war wohl aus Unachtsamkeit in den Trichter geschlittert. Menolly schlich vorsichtig näher und prüfte bei jedem Schritt, ob sie noch auf festem Grund stand. Dann hielt sie sich an einem
Strauch fest und stieß ihr Messer bis ans Heft in den Nacken des Whers.
Ein schrilles Kreischen und gleich darauf ließ das Tier die Flügel schlaff herunterhängen.
Menolly nahm ihren Gürtel ab und machte eine Schlinge daraus, die sie über den Kopf des rasch versinkenden Tieres streifte. Dann begann sie, es langsam zu sich heranzuziehen.
Der Wher würde sie und ihre Schar nicht nur mit Fleisch versorgen; die dicke Fettschicht unter der zähen Haut eignete sich besser als jeder Fischtran zum Einreiben der kleinen Echsen.
Wieder schien die Goldechse zu Menollys großem Staunen die Situation genau zu begreifen. Sie grub ihre winzigen Klauen in einen Flügel des Whers und zerrte ihn aus dem Sand. Ein schrilles Zirpen und im nächsten Moment packten auch die anderen Tiere mit an.
Es dauerte eine Weile, aber mit gemeinsamen Kräften hievten sie den Wher schließlich auf festen Boden.
Den Rest des Tages verwendete Menolly dazu, den Kadaver zu häuten und auszunehmen. Die Feuerechsen tranken begeistert das warme Blut und fielen über die Innereien her. Der Anblick weckte anfangs Ekel in Menolly, aber sie nahm sich zusammen und achtete nicht weiter auf die Gefräßigkeit, mit der ihre sonst so sanften Gefährten die Beute verschlangen.
Sie hoffte nur, dass der Genuss von rohem Fleisch die Echsen nicht blutrünstig machen würde - aber die Drachen verwandelten sich ja auch nicht in wilde Bestien, obwohl man ihnen Herdentiere vorwarf. Zumindest hatten sich ihre Schützlinge an diesem Tag richtig satt gefressen.
Der Wher war ein Prachtexemplar gewesen. Sicher stammte er aus den fruchtbaren Gebieten um Nerat, denn seine Fettschicht wies eine beträchtliche Dicke auf. Er
konnte kein Vogel aus dem Norden sein. Menolly schnitt das Fleisch in Stücke und wickelte es in die Haut; am Ende hatte sie einen schweren Packen heimzuschleppen und die übrig gebliebenen Knochen waren keineswegs blank. Nur schade, dass sie der älteren Königin nicht sagen konnte, wo die Beute lag.
Sie bastelte gerade eine Tragschlaufe aus ihrem Gürtel, als es über ihr mit einem Mal von Feuerechsen wimmelte. Mit Begeisterungsschreien stürzten sich die alte Königin und ihre Bronzegefährten über die Knochen. Menolly wich hastig zurück, ehe die Tiere auf den Gedanken kamen, ihr den Fleischvorrat zu entreißen.
Auf dem langen, ermüdenden Heimweg hatte sie genug Zeit, über das plötzliche Erscheinen der Tiere nachzusinnen. Offenbar fing die kleine Königin ihre Gedanken auf, ebenso wie die anderen Echsen, die sie großgezogen hatte. Aber - hatte die kleine Goldechse ihre Mutter gerufen? Oder besaß sie selbst so viel Ausstrahlung, dass die alte Königin sie empfangen konnte?
Ihre Schar zeigte keine Lust, bei den anderen zu bleiben, sondern leistete ihr auf dem Rückweg Gesellschaft. Es war längst dunkel, als Menolly ihre Höhle erreichte. Nur das Mondlicht und die Vertrautheit mit den Klippen halfen ihr, den steilen Weg in die Tiefe zu finden. Das Feuer war zu einer trüben Glut heruntergebrannt, die sie mit viel Mühe wieder anfachte. Menolly war so erschöpft, dass sie nur noch ein Stück Wherfleisch in große Blätter wickelte und in den heißen Sand neben der Feuerstelle schob. Dann fiel sie auf ihr Lager und schlief ein.
Während der nächsten Tage ließ sie das Fett aus; und sie bedauerte mehr als einmal, dass sie nicht einen einzigen richtigen Kochtopf besaß. Sie warf aromatische Gräser in das heiße Fett und goss die Mixtur zum Abkühlen in Tongefäße.
Das Wherfleisch schmeckte ein wenig nach Fisch,
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