Drachenlied
letzten langen Sturm keinen freien Tag mehr. Eine schöne Ballade übrigens, die Sie den Kindern beibringen.«
»Und eine schöne Stimme, die uns eben begleitet hat. Warum singst du nicht öfter mit? Ich dachte schon, der Seewind hier draußen verdammt euch alle zum Krächzen, wenn ihr erst mal älter als zwölf Planetendrehungen seid.«
»Ha, da hätten Sie meine Schwe...« Alemi biss sich auf die Lippen wurde rot und begann zu stammeln.
»Ah, das erinnert mich an etwas. Ich war so frei und habe
Lioths Reiter N’ton gebeten, im Benden-Weyr die Kunde von ihrem Verschwinden zu verbreiten. Vielleicht lebt sie noch.«
Alemi nickte langsam.
»Ihr Küstenbewohner verblüfft mich immer wieder«, begann Elgion in dem Wunsch, von dem schmerzlichen Thema abzulenken. Er ging an das Regal mit den Wachstafeln und holte zwei davon aus dem Stapel. »Diese Dinger hier scheinen von dem Pflegesohn zu stammen, der nach Elgions Tod den Unterricht abhielt. Die übrigen Tafeln weisen die altmodischen Schriftzeichen des Harfners auf. Aber die hier... Ein Junge, der so etwas kann, gehört unbedingt in die Harfnergilde. Du weißt auch nicht, wer dieser Bursche ist, oder?«
Alemi fühlte sich hin und her gerissen zwischen Geschwisterliebe und seiner Pflicht der Burg gegenüber. Aber Menolly war nicht mehr in der Halbkreis-Bucht, und der gesunde Menschenverstand sagte Alemi, dass sie tot sein musste, wenn sie bis jetzt nicht einmal die Patrouillereiter entdeckt hatten. Außerdem war sie nur ein Mädchen - was nützte es also, wenn ihre Lieder dem Harfner gefielen? Und Alemi zögerte, seinen Vater als Lügner bloßzustellen. So antwortete er nach einer kleinen Pause wahrheitsgemäß, dass er »den Burschen« nicht kenne.
Elgion schlug die Wachstafeln in Schutzhüllen und seufzte. »Nun, ich werde sie auf alle Fälle zur Gildehalle schicken. Robinton will sie sicher verbreiten.«
»Der Meisterharfner? Sind sie so gut?« Alemi war verblüfft und bedauerte es nun doppelt, dass er die Lüge aufrechterhalten musste.
»Sie sind großartig. Vielleicht meldet sich der Junge von selbst, wenn er sie hört - da du ganz offenkundig aus irgendeinem Grund seinen Namen nicht verraten willst.« Er lachte über die Reaktion des jungen Barons. »Ich bin doch nicht
blind, Mann! Irgendwie scheint dieser Pflegling Schande über die Halbkreis-Bucht gebracht zu haben. Das kommt vor und jeder vernünftige Harfner bringt Verständnis dafür auf. Die Ehre der Burg - und so fort. Keine Angst, ich komme nicht mehr darauf zu sprechen. Er wird schon auftauchen, wenn er seine eigene Musik hört.«
Sie sprachen dann von anderen Dingen, bis die Flotte einlief - zwei etwa Gleichaltrige völlig unterschiedlicher Herkunft und Erziehung: Der eine erfüllt von brennender Sehnsucht nach der Welt jenseits der Meeresbucht, der andere weit gereist und durchaus gewillt, seine Fragen zu beantworten. Elgion empfand echte Erleichterung, dass Alemi nichts von der Sturheit und Engstirnigkeit des alten Barons besaß, und er begann zu hoffen, dass es ihm nach und nach doch noch gelingen könnte, den Plan des Meisterharfners durchzuführen und das Verständnis der Küstenbewohner über die Grenzen ihrer Bucht auszuweiten.
Alemi kam am nächsten Tag wieder, als die Kinder gegangen waren, und stellte weitere Fragen. Irgendwann unterbrach er sich erschrocken, weil ihm zu Bewusstsein kam, dass er die kostbare Zeit des Harfners verschwendete.
»Ich schlage dir ein Geschäft vor, Alemi. Ich bringe dir alles bei, was du wissen willst, und du weist mich dafür in die Kunst des Segelns ein.«
»Segeln?«
Elgion lachte. »Ganz recht, denn davon verstehe ich weniger als der kleinste meiner Schüler. Meine Berufsehre steht auf dem Spiel. Schließlich verlangt man von einem Harfner, dass er alles weiß.
Mag sein, dass ich mich täusche, aber ich glaube kaum, dass du zwei gesunde Beine brauchst, um eines dieser kleinen Boote zu segeln, mit denen hier die Kinder herumschippern.«
Alemis Züge hellten sich auf und er klopfte dem Harfner begeistert auf die Schulter.
»Ganz sicher nicht. Los, raus aufs Wasser, Mann!«
UndAlemi schleppte den Harfner auf der Stelle zur Dockhöhle, um ihm die Grundbegriffe des Segelns beizubringen. Auf seinem Gebiet war der junge Baron ein ebenso guter Lehrmeister wie der Harfner; und nach der ersten Lektion konnte Elgion bereits selbstständig durch die Hafenbucht kreuzen. Allerdings herrschte ideales Segelwetter und genau der richtige Wind, wie Alemi immer
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